Wilde Saat
erbärmlichen Hütte mitten in den tiefsten und dunkelsten Wäldern Virginias. Als Doro Anyanwu zu Thomas brachte, empfing dieser sie mit wilden Flüchen. Er fragte D o ro, was er angestellt habe, daß dieser ihm ein Ni g gerweib zur Frau gebe. Doch nicht er hatte Doros Zorn erweckt, sondern Anyanwu, sie war daran schuld, daß Thomas sie bekam.
Dann und wann hatte Doro um sie auf die ihm eigene We i se geworben. Er erschien mit einem neuen Körper – oft sogar in einem sehr anziehenden Körper. Er versuc h te, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, und behandelte sie nicht nur wie ein Zuchttier. Dann, wenn das Werben um sie beendet war, holte er sie aus Isaaks Bett in sein eigenes und nahm sie, bis er sicher war, daß sie schwanger von ihm war. Isaak drängte Anyanwu sogar, diese Gelegenheiten zu nu t zen, um Doro an sich zu binden und den Einfluß, den sie auf ihn besaß, zu vergrößern. Doch Anyanwu konnte nicht vergessen: nicht Doros unnötiges, e r barmungsloses Töten; nicht die Kränkungen, die er ihr zufügte, wenn er sie nicht umwarb; nicht die offene Verachtung aller ihrer Überze u gungen, die zu den seinen im Widerspruch standen; nicht die Han d lungen, zu denen er sie zwang, gleichgültig, ob Anyanwu sie aus tiefster Seele verabscheute oder nicht. Sie hatte das Bett mit ihm geteilt als Mann, während er den Körper einer Frau trug. Sie hatte es kein ei n ziges Mal zu einer Erektion gebracht. Doro war eine wundersch ö ne Frau gewesen, aber er hatte Anyanwu abgestoßen. Nichts hatte ihr Vergnügen bereitet. Nichts …
Sie seufzte und blickte auf das ruhige Gesicht ihrer Tochter.
Nein, das stimmte nicht ganz! Ihre Kinder hatten ihr Vergnügen bereitet. Sie liebte sie, aber sie lebte auch in ständ i ger Furcht um sie. Wer wußte, was Doro sich noch für ihre Kinder ausdenken würde? Was würde er mit di e sem Mä d chen hier machen?
Sie legte sich dicht neben Nweke, damit das Mädchen nicht allein war, wenn es erwachte. Vielleicht nahm Nweke auch in ihrem jetzigen Zustand Anyanwus Nähe in irge n deiner Weise wahr. Anya n wu hatte die Erfahrung gemacht, daß Menschen im Übergang weniger wild um sich schl u gen, wenn sie neben ihnen lag und sie in den Armen hielt. Falls ihre Nähe, ihre Berührung diesen Ärmsten irgendeine Beruhigung gab, nahm Anyanwu die Mühe einer durc h wachten Nacht gerne auf sich. Ihre Gedanken kehrten zu Th o mas zurück.
Doro war zornig auf sie gewesen. Normalerweise schien er nie wirklich zornig auf einen seiner Leute zu werden. Einfach deshalb nicht, weil alle ihn lie b ten. Er konnte ihr nicht sagen, daß er zornig auf sie war, weil sie ihn nicht liebte. Nicht einmal er konnte einen solchen Unsinn ä u ßern. Natürlich, umgekehrt liebte auch er sie nicht. Er lie b te überhaupt niemanden, mit Ausnahme von Isaak vie l leicht und einigen wenigen seiner Kinder. Doch er verlan g te von Anyanwu, daß sie sich verhielt wie seine anderen Frauen, die in ihm einen Gott in einem menschlichen Kö r per sahen, die miteinander wetteiferten um seine Gunst, gleichgültig, wie häßlich sein momentaner Körper war, gleichgültig auch, ob er im Augenblick gerade wieder auf der Suche nach einem neuen war. Sie wußten, daß er Fra u en fast g e nauso bereitwillig nahm wie Männer. Bei den Frauen b e vorzugte er vor allem diejenigen, die ihm bereits gegeben hatten, was er von ihnen wollte – mehrere Kinder für g e wöhnlich. Sie dienten ihm mit Treue und Hingabe, ohne auf den Gedanken zu kommen, sie könnten seine nächsten Opfer sein. Irgendein anderer, ja. Aber nicht sie. Mehr als einmal hatte Anyanwu sich die Frage gestellt, wieviel Zeit ihr wohl noch blieb. Wartete Doro nur noch, bis sie dieser letzten Tochter bei ihrem Übergang zur Seite gestanden hatte? Wenn dies der Fall war, würde er vie l leicht eine Überraschung erleben. Sobald Nweke im vollen Besitz i h rer Kräfte war und für sich selbst sorgen konnte, beabsic h tigte Anyanwu Wheatley zu verlassen.
Sie hatte genug von Doro und allem, was mit ihm z u sammenhing. Und niemand besaß eine größere Chance, ihm zu entkommen, als sie.
Wenn doch auch Thomas diese Chance gehabt hätte …
Doch Thomas besaß keine Macht, er besaß nur die Ve r anlagung dazu, eine Veranlagung, die mitten in der En t wicklung stehengeblieben war. Als Doro Anyanwu zu ihm brachte, trug er einen langen, spä r lich wachsenden Bart. Das lange, dunkle Haar hing ihm in schmutzigen Strähnen wirr ins Gesicht. Seine Kleider starrten vor Dreck und Schweiß. Sie
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