Wilde Saat
längeren Aufenthalt würde einste l len müssen. Und falls dieser Mann wirklich impotent war, würde auch das nicht genug sein.
Was würde Doro dann tun?
Während sie langsam die Gestalt eines Leoparden a n nahm, achtete sie darauf, stets zwischen Thomas und der Tür zu bleiben – zwischen Thomas und der Waffe. Diese Ma ß nahme erwies sich als klug, denn kaum war sie fertig und streckte ihren schlanken, kraftvollen Raubtierkörper, als er mit einem wilden Satz zur Tür sprang, um die Mu s kete an sich zu bringen.
Die Krallen eingezogen, fegte Anyanwu ihn mit einem blitzschnellen Prankenhieb zur Seite. Er schrie und wich entsetzt vor ihr zurück. Er hielt den Arm schützend vor seine Kehle, seine Augen waren weit aufgerissen, sein Kopf in den Nacken gebogen. Seine ganze Haltung verriet panische Angst. Jeden Auge n blick schien er mit Anyanwus Angriff zu rechnen. Er wartete auf den Tod. Statt dessen näherte sie sich langsam, den Körper schmiegsam und en t spannt. Schnurrend rieb sie den Kopf an seinem Knie. Sie blickte zu ihm auf, sah, daß der schützend erhobene Arm sich senkte. Zärtlich preßte sie sich gegen sein Bein und schnurrte behaglich. Endlich berührte seine Hand zögernd und beinahe widerwillig ihr Haupt und streichelte es. Als sie ihn so weit hatte, daß er ihr den Hals kraulte, entzog sie sich ihm. »O mein Gott!« murmelte er vor sich hin. Mit schnellen Sätzen glitt sie zum Herd, nahm ein Stück Fleisch zw i schen die Zähne und brachte es ihm.
»Ich mag das nicht!« sagte er.
Tief in der Kehle ließ sie ein leises Grollen hören. Ha s tig wich er einen Schritt zurück, doch das brachte ihn mit dem Rücken gegen die Wand der Blockhütte, es gab keine Möglichkeit mehr für ihn, zu entwe i chen. Anyanwu folgte ihm. Sie versuchte, das Fleisch in seine Hand zu legen, doch er zog die Hand zurück. Anyanwu gab ein lautes, g e fährliches Fa u chen von sich.
Thomas rutschte an der Wand hinab zu Boden. Seine Knie zitterten vor Schwäche. Sie ließ das Fleisc h stück in seinen Schoß fallen und knurrte erneut.
Zögernd nahm Thomas das Fleisch in die Hand und aß – zum erstenmal nach langer Zeit. Nach wie langer Zeit? fragte sich Anyanwu. Wenn er die Absicht hatte, sich u m zubringen, weshalb tat er es auf diese l angsame , grausame Art und Weise, indem er sich bei lebendigem Leib verfa u len ließ! Noch heute würde sie ihn waschen und mit seiner Heilung b e ginnen. Wenn er wirklich zu sterben wünschte, sollte er sich den Strick nehmen, und fe r tig!
Als er das Fleisch bis auf den letzten Bissen aufg e gessen hatte, wurde sie wieder zu einer Frau und kleidete sich vor seinen Augen langsam wieder an.
»Ich konnte es sehen«, flüsterte er nach einem langen Schweigen. »Ich konnte sehen, wie sich das I n nere deines Körpers verwandelte. Jedes Stück …« Er brach ab und schüttelte fassungslos den Kopf, dann fragte er: »Kannst du dich auch in eine Weiße ve r wandeln?«
Die Frage überraschte sie. War ihre Hautfarbe wir k lich solch ein Hindernis für ihn? Gewöhnlich war das bei Doros Leuten nicht der Fall. Die meisten von ihnen kamen aus einer Umgebung, in der ein derartiges Rassengemisch herrschte, daß die Hautfarbe unwichtig für sie war. Anyanwu kannte die Vorfahren dieses Mannes nicht, aber sie war sicher, in seinen Adern floß nicht nur das Blut von Weißen, wie er das anzunehmen schien. Der indianische Einschlag war unverkennbar.
»Ich habe mich noch nie in eine Weiße verwandelt«, erw i derte Anyanwu. »In Wheatley kennt mich jeder. Wen würde ich damit täuschen – und warum sollte ich es vers u chen?«
»Ich glaube dir das nicht«, sagte Thomas. »Wenn du e i ne Weiße werden könntest, hättest du das schon längst g e tan.«
»Warum?«
Feindselig starrte er sie an.
»Ich bin stolz auf meine Hautfarbe«, sagte sie schlie ß lich. »Sollte ich eines Tages eine Weiße sein müssen, um übe r leben zu können, werde ich eine Weiße sein. Muß ich ein Leopard sein, um jagen und töten zu können, werde ich ein Leopard sein. Bin ich gezwungen, von einem Ort zum anderen zu gelangen, werde ich mich in einen großen V o gel verwa n deln. Ist es notwendig, das Meer zu überqueren, verwandle ich mich in einen Fisch.« Ein Lächeln spielte um ihre Lippen. »Einen Delphin vielleicht.«
»Wirst du für mich eine Weiße werden?« fragte er. Se i ne Feindseligkeit war verschwunden, während er sprach. Er schien ihr zu glauben. Wahrscheinlich hörte er ihre Geda n ken. Wenn dies so
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