Wilde Saat
Schultern und trug sie zu Thomas’ Hü t te. Als die beiden Männer am nächsten Morgen erwachten, hatte Anyanwu die Hirschkuh gehäutet, ausgenommen und zerteilt. Die Hütte war voll vom Duft eines Wildbratens.
Doro aß mit Genuß, dann verließ er die Hütte. Er fragte nicht, woher das frische Fleisch stammte. Er dankte Anyanwu auch nicht. Er nahm die Tatsache einfach hin. Thomas war mißtrauisch. Er trank einen Schluck Rum, roch an dem Fleisch und schnitt sich ein Stück davon ab.
»Wo kommt das her?« fragte er.
»Ich habe es vergangene Nacht gejagt«, erwiderte Anyanwu. »Du hattest nichts hier.«
»Gejagt? Womit? Mit meiner Muskete? Wer hat dir e r laubt …«
»Ich habe deine Muskete nicht benutzt. Sieh nach, und überzeuge dich davon!« Sie zeigte auf die Wa f fe, die an einem Haken an der Tür hing – das sa u berste Stück in der Hütte. »Ich jage nicht mit Feuerwa f fen«, fügte sie hinzu.
Thomas stand auf und untersuchte seine Muskete trot z dem. Er überzeugte sich von der Wahrheit ihrer Worte und trat auf sie zu. Seine Körperausdünstung traf sie wie ein Schlag, und Anyanwu hielt unwillkürlich die Luft an. »W o mit warst du dann auf Jagd?« wollte er wissen. Er war nicht besonders groß von Gestalt, aber manchmal, in A u genblicken wie diesen, sprach er mit tiefer, grollender Stimme. »Was hast du benutzt zur Jagd? Deine Nägel und deine Zähne?«
»Ja«, erwiderte Anyanwu leise.
Einen Moment lang starrte er sie an, die Augen g e weitet vor jähem Entsetzen. »Eine Raubkatze?« flü s terte er. »Erst Frau, dann Raubkatze, und dann wi e der Frau. Aber wie …« Er brach ab. Doro hatte g e sagt, daß dieser Mann keine Kontrolle über seine Fähigkeiten besaß, da er nie den Übergang vollzogen hatte. Er konnte nicht bewußt in Anyanwus Geda n ken lesen, aber genausowenig konnte er sich davon zurückhalten. Anyanwu war in seiner unmitte l baren Nähe, und ihre Gedanken, anders als Doros Geda n ken, l a gen offen und ungeschützt vor Thomas.
»Ich war eine Raubkatze«, sagte sie einfach. »Ich kann sein, was ich will. Soll ich es dir zeigen?«
»Nein!«
»Es ist eine Kraft, ähnlich der deinen«, versicherte sie ihm. »Du kannst sehen, was ich denke. Ich kann meine G e stalt verwandeln. Warum willst du das Fleisch nicht essen? Es ist ganz ausgezeichnet.« Sie würde ihn waschen, b e schloß sie bei sich. Noch an diesem Tag würde sie ihn w a schen und mit der Heilung seiner Schwären und Wunden begi n nen. Der Gestank war unerträglich.
Er ergriff seine Portion Fleisch und warf sie ins Feuer. »Hexenfutter!« stieß er hervor und hob seinen Rumkrug an die Lippen.
Anyanwu unterdrückte den Impuls, ihm den Krug zu entreißen und den Rum auf den Boden zu gießen. Statt de s sen erhob sie sich langsam, und als er das Gefäß absetzte, nahm sie es ihm vorsichtig aus der Hand. Er versuchte nicht, es festzuhalten. Anyanwu stellte es beiseite und sah ihm fest in die Augen.
»Wir sind alle Hexen«, sagte sie. »Alle Leute von Doro. Warum sollte er uns beachten, wenn wir so wären wie die anderen!« Sie zuckte die Schultern. »Er will ein Kind von uns, weil es ebenfalls nicht so sein wird wie die anderen.«
Er schwieg, starrte sie nur an, voller Argwohn und A b scheu.
»Ich habe gesehen, was du zu tun vermagst«, fuhr sie fort. »Du kannst meine Gedanken hörbar machen, du e r fährst Dinge, die du nie erfahren solltest. Ich werde dir ze i gen, was ich kann.«
»Ich will es nicht sehen!«
»Wenn du es siehst, wird es natürlicher für dich. Es ist nichts Abstoßendes. Ich werde nicht häßlich d a bei. Die meisten Veränderungen geschehen in me i nem Inneren.« Während sie noch sprach, hatte sie sich zu entkleiden b e gonnen. Normalerweise war das nicht notwendig. Die Kleider fielen von ihr ab, wä h rend sie sich verwandelte, wie bei einer Schlange, die sich häutet. Doch sie wollte Rücksicht auf diesen Mann nehmen, die Plötzlichkeit der Verwandlung hätte ihn erschrecken können. Dabei rechnete sie nicht damit, daß ihre Nacktheit ihn erregte. In der Nacht zuvor hatte er sie unbekleidet gesehen, ohne sich davon beeindruckt zu zeigen. Er hatte sich u m gedreht und auf seinem stinkenden Lager zum Schl a fen ausgestreckt. Sie vermutete, daß er impotent war. Sie hatte ihren Körper schlank und jugendlich für ihn gemacht, in der Hoffnung, seinen Samen in sich aufnehmen und so schnell wie mö g lich wieder von ihm fortkommen zu können. Doch sie hatte erkannt, daß sie sich auf einen
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