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Wilde Saat

Wilde Saat

Titel: Wilde Saat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Octavia Butler
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hätten von selbst stehen können, wenn sie nicht so zerfetzt und zerrissen gewesen wären. An manchen Stellen schien nur noch der verkrustete Schmutz sie z u sammenzuhalten. Er war mit Wunden bedeckt, mit off e nen, schwärenden, übelriechenden Wunden, so als verfaule er bei lebendigem Leib. Thomas war ein noch junger Mann, aber die Zähne waren ihm zum Teil bereits ausgefallen, zum Teil bestanden sie nur noch aus häßlichen, gelbbra u nen Stümpfen. Sein Atem, sein ganzer Körper verbreiteten einen u n glaublichen Gestank.
    Aber Thomas machte sich nichts daraus. Er machte sich aus nichts, aus rein gar nichts etwas – nur der nächste Drink war für ihn von Wichtigkeit. Wenn man von seinem dünnen Bart absah, glich er einem Indianer. Doch er selbst hielt sich für einen Weißen, und Anyanwu war in seinen Augen eine Niggerin.
    Doro hatte genau gewußt, was er tat, als er in seinem Zorn zu Anyanwu sagte: »Du glaubst, ich fordere zuviel von dir? Du glaubst, ich mißbrauche dich? Ich werde dir zeigen, wie gut es dir bisher ergangen ist!«
    Und dann hatte er sie Thomas übergeben. Und er blieb, um darauf zu achten, daß sie nicht davonlief oder diese arms e lige Ruine von einem Menschen tötete, anstatt mit ihm sein stinkendes, verseuchtes und vor Ungeziefer sta r rendes Bett zu teilen.
    Aber Anyanwu hatte noch nie einen Menschen getötet, außer in Notwehr. Es war nicht ihre Sache, zu töten. Sie war eine Heilerin.
    Zuerst verfluchte Thomas sie und beschimpfte sie wegen ihrer schwarzen Hautfarbe. Sie ging darüber hinweg. »D o ro hat uns zusammengeführt«, erklärte sie ihm ruhig. »Wenn meine Haut grün wäre, es machte keinen Unte r schied.«
    »Halte den Mund«, schrie er sie an. »Du bist eine schwarze Hexe. Du bist hier, um dir ein Kind m a chen zu lassen, das ist alles. Ich habe es nicht nötig, mir dein du m mes Gerede anzuhören!«
    Sie hatte nichts darauf erwidert. Nach dem ersten A u genblick war sie nicht einmal verärgert gewesen. Sie hatte weder gejammert, noch den Mann zurückgestoßen. Sie wußte, daß Doro nur darauf wartete, aber in diesem Punkt irrte er sich. Das zeigte ihr nur, daß er sie immer noch nicht kan n te, obwohl sie schon Jahrzehnte in Wheatley lebte. Dieser Mann hier war ein Wrack, er litt an einem ganzen Dutzend von Krankheiten. Doch sie war eine Heilerin, eine Hei l kundige, Herstellerin von Arzneien und Giften. Sie ließ gebrochene Knochen wieder zusammenwachsen und brachte den Kranken Erleichterung und Gesundheit – sollte es ihr nicht gelingen, die Wrackteile dieses Menschen wi e der zusammenzuf ü gen und ein gesundes Ganzes daraus zu machen! Doro inte r essierte sich für einen Menschen nur unter der Rücksicht der zur erwartenden Nachkomme n schaft. Anyanwu fragte nach den Krankheiten eines Me n schen, vor allem nach solchen, die ihr bisher noch unb e kannt waren. Und sie überlegte, wie sie diese Krankheiten besiegen kon n te.
    Hilflos empfing Thomas ihre Gedanken. »Rühr mich nicht an«, knurrte er aufs höchste bestürzt. »Du He i din, geh, und versuch dein Glück bei anderen!«
    Heidin hatte er sie genannt! Er selbst war ein gotte s fürcht i ger Mann! Anyanwu wandte sich an Doro, seinen Gott. »Sieh zu, daß du eine Siedlung findest«, sagte sie, »wo du Brot kaufen kannst. Dieser Mann ist nicht imsta n de, ein Kind zu zeugen. Nicht in diesem Zustand und nac h dem er sich jahrelang von Beeren, Obstwein und gestohl e nem Rum ernährt hat.«
    Doro blickte sie an, als habe es ihm die Sprache ve r schlagen. Er trug einen großen bulligen Körper und hatte ihn dazu benutzt, Holz zu spalten, während Anyanwu und Thomas sich miteinander bekannt machten.
    »Hier ist zu essen genug«, widersprach er schließlich. »Es gibt Wild und Vögel und Fische. Thomas hat sogar einige Dinge angebaut. Er hat, was er braucht.«
    »Wenn er auch hat, was er braucht, er ißt nichts d a von!«
    »Dann wird er verhungern! Aber nicht, bevor er dir ein Kind gemacht hat.«
    In dieser Nacht verwandelte sich Anyanwu voller Zorn zum erstenmal seit vielen Jahren wieder in einen Leopa r den. Sie ging auf Hirschjagd, umschlich das Rudel, wie sie es lange zuvor in ihrer Heimat getan hatte. Sie bewegte sich mit der alten, lautlosen Geschmeidigkeit, gebrauchte ihre Augen und Ohren noch wirkungsvoller, als dies einem wirklichen Le o parden möglich ist. Das Ergebnis war das gleiche wie zu Hause. Sie erlegte eine schlanke Hirschkuh. Danach nahm sie ihre Menschengestalt wieder an, lud sich die Beute über die

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