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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Bilder auf und verschwanden wieder.
    »Irgendwas mit Schafen«, sagte sie. »Viele Schafe und ein spezielles Schaf.«
    »Schafe?«
    »Ja«, sagte sie und gab mir ihre halb gerauchte Zigarette. Ich nahm einen Zug und drückte sie im Aschenbecher aus. »Und dann beginnt das Abenteuer.«
    * * *
    Etwas später klingelte das Telefon. Ich sah sie an, aber sie war auf meiner Brust fest eingeschlafen. Ich ließ es viermal klingeln und nahm dann den Hörer ab.
    »Kannst du sofort herkommen?«, meldete sich mein Partner. Seine Stimme zitterte. »Es ist sehr wichtig.«
    »Wie wichtig?«, sagte ich.
    »Das wirst du schon sehen, wenn du kommst«, sagte er.
    »Es geht doch sicher um diese Schafsgeschichte«, machte ich die Probe aufs Exempel. Das hätte ich nicht sagen sollen. Der Hörer gefror zu Eis.
    »Woher weißt du das?«, sagte mein Partner.
    Damit begann die Schafsjagd.

VIERTES KAPITEL
    Schafsjagd I
    1. DER MERKWÜRDIGE MANN (PROLOG)
    Es kann viele Ursachen haben, wenn ein Mensch beginnt, gewohnheitsmäßig große Mengen Alkohol zu trinken. Viele Ursachen, die aber fast alle zum gleichen Ergebnis führen.
    1973 war mein Kompagnon ein fröhlicher Zecher. 1976 wurde er langsam schwierig, ein launischer Trinker, und im Sommer 1978 stand er schwankend am Rande des Abgrunds: Alkoholismus im Frühstadium. Wie viele Gewohnheitstrinker war er in nüchternem Zustand ein korrekter, angenehmer, wenn auch nicht gerade scharfsinniger Mensch. Alle hielten ihn dafür: für einen korrekten, angenehmen, wenn auch nicht gerade scharfsinnigen Menschen. Er selbst sich auch. Deshalb trank er. Denn mit Alkohol im Blut, dachte er, könnte er sich dieser Vorstellung von sich als korrektem, angenehmem Menschen vorbehaltlos anschließen.
    Zu Anfang ging das natürlich gut. Mit der Zeit jedoch und mit steigendem Alkoholkonsum zeigten sich winzige Risse, und diese winzigen Risse taten sich schließlich zu einem tiefen Graben auf. Seine Korrektheit, sein angenehmes Wesen rückten immer weiter von ihm weg, so weit, dass er selbst sie nicht mehr einholen konnte. Ein ganz gewöhnlicher Fall. Allerdings glauben nur die wenigsten Menschen von sich selbst, sie seien ganz gewöhnliche Fälle. Schon gar nicht solche, die nicht gerade scharfsinnig sind. Beim Versuch, wiederzufinden, was er aus den Augen verloren hatte, verirrte sich mein Kompagnon immer tiefer in den Nebeln des Alkohols, und seine Lage verschlechterte sich weiter.
    Immerhin war er bisher wenigstens tagsüber in Ordnung. Ich hatte schon seit Jahren bewusst vermieden, mich abends mit ihm zu treffen, und mir gegenüber verhielt er sich korrekt. Trotzdem wusste ich natürlich, dass er, sobald die Dämmerung einsetzte, eben nicht mehr korrekt war, und er selbst wusste das auch. Wir sprachen diesen Punkt nie an, aber wir waren uns beide im Klaren darüber, dass wir Bescheid wussten. Wir kamen nach wie vor gut miteinander aus, aber die Freundschaft von früher war es nicht mehr.
    Auch wenn wir uns nicht gerade hundertprozentig verstanden (selbst siebzigprozentig wäre fragwürdig) – immerhin war er mein einziger Freund aus Studentenzeiten, und es war bitter, aus nächster Nähe mit ansehen zu müssen, wie dieser Mensch die Gewalt über sich verlor. Nun ja, so ist das wohl, wenn man älter wird.
    Als ich ins Büro kam, hatte er schon einen Whiskey intus. Solange es bei einem blieb, war er okay, wenn das auch nichts daran änderte, dass er trank. Irgendwann werden es vermutlich zwei werden. Dann steige ich aus der Firma aus und suche mir eine andere Arbeit.
    Ich stellte mich vor das Gebläse der Klimaanlage, um mir den Schweiß zu trocknen, und trank dabei den kalten Tee, den das Mädchen gebracht hatte. Er sagte nichts, und ich sagte auch nichts. Die kräftigen Strahlen der Nachmittagssonne zerstoben auf dem Linoleumboden wie imaginärer Wasserstaub. Vor meinen Augen breitete sich das Grün des Parks aus; klein waren auf dem Rasen liegende Leute zu sehen, die sich behaglich bräunen ließen. Mein Partner tippte sich ständig mit der Spitze seines Kugelschreibers auf die linke Handfläche.
    »Du hast dich scheiden lassen?«, fing er an.
    »Das ist ein zwei Monate alter Hut«, sagte ich und schaute weiter zum Fenster hinaus. Als ich die Sonnenbrille abnahm, taten mir die Augen weh.
    »Warum hast du dich scheiden lassen?«
    »Aus persönlichen Gründen.«
    »Das ist mir klar«, sagte er beherrscht. »Von einer Scheidung aus anderen als persönlichen Gründen habe ich noch nicht gehört.«
    Ich

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