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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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schwieg. Wir hatten seit Jahren ein stillschweigendes Abkommen, private Probleme nicht anzusprechen.
    »Ich will nicht neugierig sein«, entschuldigte er sich. »Aber sie war auch meine Freundin, ich war ziemlich geschockt. Außerdem dachte ich die ganze Zeit, dass ihr euch gut versteht.«
    »Wir haben uns die ganze Zeit gut verstanden. Und wir sind auch nicht im Streit auseinander gegangen.«
    Er machte ein ratloses Gesicht und sagte nichts mehr, tippte sich aber weiter mit dem Kugelschreiber auf die Hand. Er hatte zu einem neuen, dunkelblauen Hemd eine schwarze Krawatte umgebunden, und die Haare waren ordentlich gekämmt. Dazu roch er nach Eau de Cologne und Hautcreme. Ich trug ein T-Shirt – Snoopy mit Surfbrett unterm Arm –, eine alte, vom vielen Waschen völlig verblichene Levis und verdreckte Tennisschuhe. Jeder würde ihn, nicht mich, für den Korrekten halten.
    »Weißt du noch, wie wir zu dritt gearbeitet haben, du und ich und sie?«
    »Sehr gut sogar«, sagte ich.
    »Das war eine schöne Zeit«, sagte mein Partner.
    Ich löste mich von der Klimaanlage, ließ mich in das weiche Polster des himmelblauen schwedischen Sofas sinken, das mitten im Zimmer stand, nahm mir eine Pall Mall Filter aus dem Besucheretui und zündete sie mit dem schweren Tischfeuerzeug an.
    »Und?«
    »Wir sind, hab ich das Gefühl, einfach zu groß geworden.«
    »Du meinst das Anzeigengeschäft und die Zeitschriften?«
    Mein Partner nickte. Wenn ich mir überlegte, wie viel Selbstüberwindung es ihn gekostet haben musste, das zu sagen, tat er mir ein bisschen leid. Ich wog das Tischfeuerzeug in der Hand und regulierte dann mit dem Stellschräubchen die Flamme.
    »Ich weiß, was du sagen willst«, sagte ich und stellte das Feuerzeug wieder auf den Tisch. »Aber denk mal scharf nach: Wer hat denn diese Aufträge an Land gezogen? Wer hat denn vorgeschlagen, dass wir das machen? Ich etwa?«
    »Wir konnten das damals nicht so einfach ablehnen, außerdem hatten wir nicht so viel zu tun …«
    »Und es brachte Geld.«
    »Und es brachte Geld, ganz recht. Wir konnten in ein größeres Büro ziehen und mehr Leute einstellen, ich meinen Wagen wechseln, eine Eigentumswohnung kaufen und meine beiden Kinder in eine teure Privatschule schicken. Nicht schlecht für dreißig.«
    »Du hast das Geld selbst verdient. Kein Grund, sich zu schämen.«
    »Von Schämen kann keine Rede sein«, sagte mein Partner, griff sich den Kugelschreiber, den er auf den Schreibtisch geworfen hatte, und piekste sich ein paar Mal in die Handfläche. »Aber wenn ich so an früher denke, mein Gott. Wie wir zu zweit vor dem Bahnhof Werbezettel verteilt haben, ständig auf der Suche nach Übersetzungsaufträgen und nichts als Schulden auf der Bank.«
    »Wenn du unbedingt Werbezettel verteilen willst, können wir das jederzeit wieder machen.«
    Mein Partner hob den Kopf und sah mich an. »Ich mache keine Scherze, Mensch.«
    »Ich auch nicht«, sagte ich.
    Wir schwiegen eine Weile.
    »Zu viel hat sich geändert«, sagte mein Partner. »Wie wir leben, wie wir denken. Wir wissen ja nicht mal mehr genau, wie viel wir eigentlich verdienen. Damit fängts an. Der Steuerberater kommt und produziert irgendwelchen Schriftkram – Abzüge, Abschreibungen, Steuertricks. Wir machen nichts anderes mehr.«
    »Das macht man überall.«
    »Ich weiß, und ich weiß auch, dass es gemacht werden muss. Deshalb mach ich es ja. Aber früher hatten wir einfach mehr Spaß.«
    »Der Hölle Schatten werden, ach, mit jedem Tage länger«, zitierte ich aus einem alten Gedicht.
    »Was heißt denn das nun wieder?«
    »Nichts«, sagte ich. »Und, weiter?«
    »Irgendwie komme ich mir jetzt wie ein Ausbeuter vor.«
    »Wie ein Ausbeuter?« Erstaunt sah ich zu ihm auf. Wir waren etwa zwei Meter voneinander entfernt, und sein Stuhl war um die zwanzig Zentimeter höher als das Sofa. Hinter ihm, in Höhe seines Kopfes, hing eine Lithographie. Eine neue, die ich noch nie gesehen hatte; das Bild zeigte einen geflügelten Fisch. Der Fisch sah nicht so aus, als ob er mit den Flügeln auf seinem Rücken besonders zufrieden wäre. Wahrscheinlich wusste er nicht genau, was er damit machen sollte. »Ausbeuter?«, fragte ich noch einmal, diesmal mich selbst.
    »Ausbeuter, ganz recht.«
    »Wen beutest du denn aus?«
    »Diesen und jenen, immer ein bisschen.«
    Ich schlug auf dem himmelblauen Sofa die Beine übereinander und schaute unverwandt auf seine Hand und die Bewegungen des Kugelschreibers in der Hand, genau in

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