Wilde Schafsjagd
mir unmöglich zu vergessen.«
V: »Erklären Sie mir, warum!«
S: »Weil das Schaf in mir ist.«
V: »Das ist keine Erklärung.«
S: »Weitere Erklärungen sind mir unmöglich.«
Im Februar 1936 wurde der Schafprofessor nach Japan zurückbeordert, wo man ihm immer wieder ähnliche Fragen stellte. Im Frühjahr des gleichen Jahres wurde er schließlich in die Archivabteilung des Landwirtschaftsministeriums versetzt.
Dort katalogisierte er Schriftstücke und richtete Bücherregale ein. Mit anderen Worten, man hatte ihn aus der Schlüsselposition der Verantwortung für die asiatische Landwirtschaftspolitik entfernt.
»Das Schaf hat mich verlassen«, sagte er damals engen Freunden. »Aber es war in mir.«
1937 trat der Schafprofessor aus dem Landwirtschaftsministerium aus und beantragte öffentliche Gelder aus dem Programm, das ehemals in seiner eigenen Verantwortung gelegen hatte – dem Programm zur Erhöhung des Schafbestands auf drei Millionen in Japan, der Mandschurei und der Mongolei. Er bekam das Geld zugebilligt und wurde mit einer sechsundfünfzigköpfigen Herde Schäfer auf Hokkaido.
1939: Heirat des Schafprofessors. 128 Schafe.
1942: Geburt des ältesten Sohnes (des gegenwärtigen Besitzers des Dolphin Hotels ). 181 Schafe.
1946: Weide des Schafprofessors wird von amerikanischer Besatzungsarmee als Manövergelände beschlagnahmt. 62 Schafe.
1947: Schafprofessor tritt in den Dienst der Schafgesellschaft Hokkaido.
1949: Ehefrau stirbt an Lungentuberkulose.
1950: Schafprofessor übernimmt das Direktorenamt des Oviszentrum Hokkaido.
1960: Ältester Sohn verliert Finger im Hafen von Otaru.
1967: Schließung des Oviszentrums.
1968: Eröffnung des Dolphin Hotel.
1978: Junger Immobilienmakler stellt Fragen zu dem Schaffoto.
Damit war ich gemeint.
* * *
»Na, großartig«, sagte ich.
»Ich möchte Ihren Vater unbedingt sprechen«, sagte ich.
»Ich habe nichts dagegen, aber mein Vater mag mich nicht, und deshalb müssen Sie vielmals entschuldigen, dass ich Sie nicht begleite«, sagte der Sohn des Schafprofessors.
»Er mag Sie nicht?«
»Ja, weil ich meine Finger verloren habe und mir außerdem die Haare ausfallen.«
»Verstehe«, sagte ich. »Ihr Vater scheint ein wenig exzentrisch zu sein.«
»Ja, sogar als sein Sohn muss ich das zugeben. Seitdem er mit dem Schaf in Berührung gekommen ist, hat er sich vollkommen verändert. Er ist sehr schwierig, manchmal sogar grausam. Aber im Grunde seines Herzens ist er ein guter Mensch. Das merkt man, wenn man ihn Geige spielen hört. Das Schaf hat ihn verletzt. Und über meinen Vater verletzt es auch mich.«
»Sie lieben Ihren Vater, nicht wahr?«, fragte meine Freundin.
»Ja. Ich liebe ihn«, sagte der Besitzer des Hotel Delfin . »Aber er mag mich nicht. Seit meiner Geburt hat er mich kein einziges Mal umarmt. Nie hatte er ein freundliches Wort für mich übrig. Und seitdem ich die Finger verloren habe und eine Glatze bekomme, macht er sich sogar regelmäßig über mich lustig.«
»Das meint er bestimmt nicht so«, versuchte sie ihn zu trösten.
»Ja, das glaube ich auch«, sagte ich.
»Sie sind zu freundlich«, erwiderte der Hotelbesitzer.
»Ob er uns wohl jetzt direkt empfangen wird?«, fragte ich.
»Ich weiß es nicht«, sagte der Hotelbesitzer. »Aber wenn Sie zwei Dinge beachten, wird er Sie wahrscheinlich empfangen: Erstens, Sie müssen ihm klar sagen, dass Sie etwas über Schafe wissen wollen.«
»Und zweitens?«
»Sagen Sie ihm nicht, dass ich Ihnen von ihm erzählt habe.«
»Verstanden«, sagte ich.
Wir bedankten uns beim Sohn des Schafprofessors und stiegen die Treppe hinauf. Oben war es kühl, die Luft feucht. Staubflocken hoben sich im schummrigen Licht in den Winkeln des Korridors ab. Es roch nach altem Papier und Körperausdünstungen. Wir gingen, wie der Sohn uns gesagt hatte, den langen Korridor entlang bis zu der alten Tür am Ende und klopften an. »Direktor« stand auf dem alten Plastiktürschild. Keine Antwort. Ich klopfte noch einmal. Wieder keine Antwort. Als ich zum dritten Mal angeklopft hatte, hörte ich es drinnen stöhnen.
»Ruhe«, sagte der Mann. »Ruhe!«
»Wir sind gekommen, um Sie etwas über Schafe zu fragen.«
»Ach, fresst doch Schafscheiße!«, brüllte der Schafprofessor. Für einen Mann von dreiundsiebzig hatte er eine kräftige Stimme.
»Bitte, wir müssen Sie unbedingt sprechen!«, schrie ich durch die Tür.
»Von Schafen will ich nichts mehr hören. Leckt mich
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