Wilde Schafsjagd
am Arsch!«, entgegnete der Schafprofessor.
»Aber ich muss mit Ihnen reden!«, sagte ich. »Über ein Schaf, das 1936 verschwunden ist.«
Eine Weile herrschte Stille. Dann flog die Tür auf. Vor uns stand der Schafprofessor.
Er hatte langes Haar, weiß wie Schnee, und Augenbrauen wie Eiszapfen. Er war ungefähr eins fünfundsechzig groß, hielt sich aufrecht und hatte einen kräftigen Körperbau. Mitten aus dem Gesicht ragte die Nase hervor, angriffslustig wie eine Sprungschanze.
Der Raum war von Körpergeruch erfüllt. Nein, so konnte man das nicht mehr nennen. Er hatte den Punkt erreicht, an dem Körpergeruch aufhört, Körpergeruch zu sein, und eins wird mit Licht und Zeit. Das ehemals geräumige Zimmer war über und über mit alten Büchern und Akten voll gestopft, man sah kaum den Boden. Die Bände, größtenteils fremdsprachige Fachliteratur, waren voller Flecken. Rechts an der Wand stand ein Bett, das vor Schmutz starrte, und vor dem Fenster befand sich ein riesiger Mahagonischreibtisch mit Drehstuhl. Auf dem Tisch herrschte vergleichsweise Ordnung, auf einem Aktenstapel lag ein schafförmiger Briefbeschwerer aus Glas. Im Zimmer war es dunkel, nur die verstaubte Schreibtischlampe strahlte ihre sechzig Watt aus.
Der Schafprofessor trug ein graues Hemd, eine schwarze Strickjacke und eine fast völlig aus der Form geratene, dicke Hose im Fischgrätenmuster. Das graue Hemd und die schwarze Strickjacke wirkten in dem Licht wie ein weißes Hemd mit einer grauen Strickjacke. Wahrscheinlich waren das sogar die ursprünglichen Farben.
Der Schafprofessor setzte sich in den Drehstuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs und bedeutete uns mit dem Finger, auf dem Bett Platz zu nehmen. Über Bücher schreitend, als durchquerten wir ein Minenfeld, erreichten wir schließlich unser Ziel und setzten uns. Das Bett war so verdreckt, dass ich dachte, meine Levis würden für immer und ewig an den Laken festkleben. Der Schafprofessor hatte uns die ganze Zeit beobachtet, die Hände auf dem Schreibtisch gefaltet. Seine Finger waren bis zu den oberen Gelenken schwarz behaart. Zu den schon fast blendend weißen Haaren bildeten sie einen seltsamen Kontrast.
Der Schafprofessor nahm das Telefon und brüllte in den Hörer: »Bring mir mein Essen, auf der Stelle!«
»So«, sagte er. »Ihr seid also gekommen, um mit mir über ein Schaf zu reden, das 1936 verschwunden ist.«
»So ist es«, sagte ich.
»Hm«, machte er. Dann schneuzte er sich geräuschvoll in ein Papiertaschentuch. »Wollt ihr etwas sagen oder wollt ihr etwas fragen?«
»Beides.«
»Redet ihr zuerst!«
»Ich kenne die weitere Geschichte des Schafes, das Ihnen im Frühjahr 1936 entkommen ist.«
»Hm«, schnaufte der Schafprofessor. »Du willst mir also weismachen, du wüsstest, was ich zweiundvierzig Jahre überall gesucht und weswegen ich alles andere geopfert habe?!«
»Ja, das weiß ich«, sagte ich.
»Du könntest mir ein Märchen auftischen.«
Ich nahm das Foto, das Ratte geschickt hatte, und das silberne Feuerzeug aus meiner Tasche und legte beides auf den Schreibtisch. Er streckte seine behaarte Hand aus, griff danach und untersuchte Feuerzeug und Foto gründlich im Schein der Schreibtischlampe. Lange war es im Zimmer zum Greifen still. Die soliden Doppelfenster schlossen den Lärm der Stadt aus; nur das leise Brummen der alten Lampe erhob sich über die drückende Lautlosigkeit.
Nachdem er seine Untersuchung von Feuerzeug und Foto abgeschlossen hatte, knipste der alte Mann die Lampe aus und rieb sich mit seinen dicken Fingern die Augen. Es sah aus, als wolle er sich die Augäpfel in den Schädel drücken. Als er davon abließ, waren sie rot und glasig wie Kaninchenaugen.
»Entschuldigt«, sagte der Schafprofessor. »Ich war die ganze Zeit von Schwachköpfen umgeben, und da bin ich misstrauisch geworden.«
»Schon gut«, sagte ich.
Meine Freundin lächelte freundlich.
»Könnt ihr euch vorstellen, wie es ist, wenn zwar eine Idee im Kopf existiert, einem aber jede Ausdrucksmöglichkeit dafür radikal entrissen wurde?«, fragte der Schafprofessor.
»Nein«, sagte ich.
»Es ist die Hölle! Die Idee brennt in der Seele wie Höllenfeuer, hält einen gefangen, ohne einen einzigen Lichtstrahl, ohne einen einzigen lindernden Wassertropfen. Und diese Hölle hatte ich auf Erden, zweiundvierzig Jahre lang.«
»Wegen des Schafes, nicht wahr?«
»Ja. Wegen des Schafes. Es hat mich in dieser Hölle zurückgelassen. Im Frühjahr 1936.«
»Und um das
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