Wilde Schafsjagd
vielleicht seine Zeit brauchen, aber es steht dem nichts mehr im Wege. Das Vakuum von zweiundvierzig Jahren wurde aufgefüllt, die Aufgabe des Schafprofessors ist beendet. Von jetzt an ist es an uns, das Schaf zu jagen.«
»Ich mag die zwei sehr.«
»Ich auch.«
Wir packten unsere restlichen Sachen ein und hatten Geschlechtsverkehr. Dann gingen wir ins Kino. Im Film hatten ebenfalls mehrere Paare Geschlechtsverkehr. Anderen beim Geschlechtsverkehr zuzusehen war auch nicht schlecht.
ACHTES KAPITEL
Schafsjagd III
1. GEBURT, ENTWICKLUNG UND VERFALL DER STADT JUNITAKI
Im Frühzug von Sapporo nach Asahikawa las ich bei einer Dose Bier Die Geschichte der Stadt Junitaki , ein dicker Schmöker im Schuber. Junitaki hieß die Stadt, zu der die ehemalige Weide des Schafprofessors gehörte. Über die Geschichte des Ortes Bescheid zu wissen mochte nicht viel nutzen, konnte aber auch nicht schaden. Der Autor sei 1940 in Junitaki geboren, hieß es, habe die literaturwissenschaftliche Fakultät der Hokkaido-Universität in Sapporo absolviert und sich seitdem als Heimatkundler einen Namen gemacht – auf der Habenseite ebendieses eine Buch. Erschienen im Mai 1970, die erste und natürlich einzige Auflage.
Dem Buch zufolge ließen sich die ersten Siedler im Frühsommer 1880 im Gebiet des heutigen Junitaki nieder. Insgesamt waren es achtzehn Personen, arme Pachtbauern aus Tsugaru, deren spärliche Habe aus ein paar landwirtschaftlichen Geräten, Kleidung und Bettzeug sowie Kochgeschirr und einer Hand voll Messern bestand.
In der Nähe von Sapporo passierte der Treck eine Ainu-Siedlung. Die Bauern kratzten ihr bisschen Geld zusammen und engagierten einen jungen Ainu als Führer. Es war ein magerer Bursche mit dunklen Augen, und er trug einen Namen, der in der Ainu-Sprache so viel wie »Zunehmender Mond, Abnehmender Mond« bedeutete. (Dies ließe, mutmaßte der Autor, möglicherweise auf manisch-depressive Neigungen des Namensträgers schließen.)
Der junge Ainu war ein erheblich besserer Führer, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Obwohl er kaum Japanisch sprach, geleitete er die achtzehn über alle Maßen misstrauischen und mürrischen Bauern wohlbehalten den Ishikari-Fluss hinauf Richtung Norden. Und er wusste ganz genau, wo fruchtbare Erde zu finden war.
Am vierten Tag erreichten sie eine solche Stelle. Eine weite Lichtung mit guter Wasserversorgung, über und über mit schönen Blumen in voller Blüte bedeckt.
»Hier ist gut«, sagte der junge Ainu zufrieden. »Wilde Tiere wenig, Erde fruchtbar, viel Lachs fangen.«
»Nein.« Der Anführer der Bauern schüttelte den Kopf. »Wir wollen weiter nach Norden.«
Der junge Ainu dachte bei sich, die Bauern glaubten sicher, weiter oben sei noch besserer Boden zu finden. Nun gut, weiter hinauf.
Und so marschierte der Treck weitere zwei Tage nach Norden. Dann fand der Ainu eine Anhöhe, die zwar nicht ganz so fruchtbar war wie die erste Stelle, wo es jedoch ebenfalls keinerlei Wasserprobleme gab.
»Was sagen?«, fragte der junge Ainu. »Hier auch gut. Was sagen?«
Die Bauern schüttelten den Kopf.
Nachdem sich dieses Schauspiel mehrere Male wiederholt hatte, erreichten sie allmählich das Gebiet des heutigen Asahikawa. Sieben Tage und hundertvierzig Kilometer von Sapporo entfernt.
»Was hiermit?«, fragte der junge Ainu, bereits ohne große Hoffnung.
»Nein«, erwiderten die Bauern.
»Aber von hier aus weiter nur Berge!«, sagte er.
»Egal«, sagten die Bauern, als freuten sie sich gar darüber.
Und sie überquerten den Shiokari-Pass.
Die Bauern hatten natürlich einen triftigen Grund, warum sie fruchtbare Ebenen mieden und absichtlich in unerschlossenes, entlegenes Land ziehen wollten. Sie hatten allesamt große Schulden und ihr Heimatdorf bei Nacht und Nebel verlassen: Sie waren auf der Flucht vor ihren Gläubigern. Leicht auffindbare Ebenen wollten sie deshalb nach Möglichkeit meiden.
Von alldem hatte der junge Ainu selbstverständlich keine Ahnung. Ihm waren die Bauern, die fruchtbaren Boden ausschlugen und immer weiter nach Norden wollten, ein Buch mit sieben Siegeln, ja sie bereiteten ihm Kummer und Verwirrung. Er verlor sein Selbstbewusstsein.
Doch er schien einen ziemlich komplexen Charakter zu besitzen, denn zu der Zeit, als der Treck den Pass hinter sich ließ, hatte er sich seinem unbegreiflichen Schicksal, Bauern in den nördlichsten Norden zu führen, vollkommen ergeben: Er wählte absichtlich die steilsten Wege und gefährlichsten Sümpfe, um
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