Wilde Schafsjagd
nach zweitägiger erbitterter Diskussion, Nachschub aus ihrem Heimatdorf zu holen. Das Problem dabei waren die Schulden, und so erkundigten sie sich vorsichtig per Brief und erfuhren, dass die Gläubiger längst aufgegeben hätten, ihr Geld zurückzubekommen. Da schrieb der Dorfälteste einigen Bekannten aus der Heimat, ob sie nicht kommen und mithelfen wollten, das Land urbar zu machen. Das war 1888, im gleichen Jahr, in dem der Beamte der Präfekturregierung kam, die Meldebögen ausfüllte und dem Dorf seinen Namen gab.
Im darauf folgenden Jahr erreichten sechs neue Familien mit neunzehn Personen das Dorf. Sie wurden in der renovierten Gemeindehütte empfangen, und alle vergossen Tränen der Wiedersehensfreude. Die neuen Siedler bekamen ihr eigenes Land, legten mit Unterstützung der Alteingesessenen Felder an und bauten Häuser.
1892 kamen vier neue Familien mit sechzehn Personen hinzu und 1896 sieben Familien mit vierundzwanzig Personen.
Und so wuchs das Dorf weiter. Die Gemeindehütte wurde erweitert und in ein richtiges, schönes Versammlungshaus verwandelt. Daneben errichtete man einen kleinen Schrein. Aus Junitaki-Weiler wurde Junitaki-Dorf. Das Hauptnahrungsmittel der Siedler war nach wie vor Hirse, die aber jetzt von Zeit zu Zeit mit weißem Reis vermischt wurde. Sogar der Postbote kam vorbei, zwar unregelmäßig, aber immerhin.
Natürlich passierte auch Unerfreuliches. Des Öfteren kamen Beamte, um Steuern einzutreiben oder die jungen Männer zum Militärdienst einzuziehen. Als besonders unerfreulich empfand solche Vorkommnisse der junge Ainu (der jedoch zu dieser Zeit schon um fünfunddreißig war). Ihm leuchtete die Notwendigkeit von Steuern und Militärdienst einfach nicht ein.
»Früher war alles irgendwie besser«, sagte er.
Dennoch, die Entwicklung des Dorfs war nicht aufzuhalten.
1902 fand man heraus, dass sich die Hochebene gleich in der Nähe des Dorfs als Weideland eignete, und machte eine Schafweide daraus, die vom Dorf kollektiv betrieben wurde. Ein Beamter der Präfekturverwaltung kam und zeigte ihnen, wie man Zäune zieht, die Wasserversorgung sichert und Ställe baut. Eine Kolonie Sträflinge musste entlang des Flusses einen Uferweg anlegen, und schon bald zog eine Herde Schafe darüber hin – Schafe, die die Regierung den Bauern zu einem Spottpreis überlassen hatte. Den Bauern war unbegreiflich, aus welchem Grunde die Regierung so großzügig zu ihnen war. Warum sollen wir nicht auch einmal Glück haben, nachdem wir bisher so viel Leid ertragen mussten, dachten die meisten nur.
Natürlich hatte die Regierung den Bauern die Schafe nicht aus reiner Nächstenliebe beschafft. Die Militärs peilten für den bevorstehenden Vormarsch auf den chinesischen Kontinent die Selbstversorgung mit Schafwolle an – Kälteschutz – und saßen deshalb der Regierung im Nacken; die Regierung wiederum befahl dem Landwirtschaftsministerium, für eine entsprechende Produktionssteigerung zu sorgen, und das Landwirtschaftsministerium gab den Druck an die Präfekturverwaltung Hokkaido weiter – das war die ganze Geschichte. Man befand sich am Vorabend des Japanisch-Russischen Krieges.
Und wieder war es der junge Ainu, der im Dorf das größte Interesse an den Schafen zeigte. Er ließ sich von einem Beamten der Präfekturverwaltung in die Regeln der Schafzucht einweisen und wurde verantwortlich für die Weide. Es ist nicht bekannt, warum er Schafe so interessant fand. Wahrscheinlich gelang es ihm nicht so recht, sich an die zwischenmenschlichen Beziehungen im Dorf zu gewöhnen, die sich im Zuge des Bevölkerungszuwachses rapide verkomplizierten.
Auf die Weide kamen sechsunddreißig Southdowns, einundzwanzig Shropshires und als Wachhunde zwei Border Collies. Der junge Ainu war bald ein kompetenter Schäfer, und die Schafe und Hunde vermehrten sich von Jahr zu Jahr. Er liebte sie von ganzem Herzen. Der Beamte der Präfekturverwaltung war’s zufrieden, und die jungen Hunde wurden als erstklassige Hirtenhunde an andere Weiden weitergegeben.
Bei Ausbruch des Japanisch-Russischen Krieges wurden fünf junge Männer aus Junitaki eingezogen und an die Front auf den Kontinent geschickt. Sie wurden alle fünf derselben Einheit zugeteilt. Bei einem Gefecht um einen kleinen Hügel schlug eine feindliche Bombe rechts in die Einheit ein, wobei zwei von ihnen fielen und einer sein linkes Bein verlor. Drei Tage später war der Krieg aus, und die beiden Unverletzten sammelten die sterblichen Überreste ihrer Kameraden
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