Wilde Schafsjagd
seine Bauern zu erfreuen.
Als sie vom Shiokari-Pass aus vier Tage nach Norden gezogen waren, stießen sie auf einen Fluss, der von Osten nach Westen floss. Man beriet sich und beschloss, nach Osten weiterzuziehen.
Der Boden war dort ebenso fürchterlich wie der Weg. Sie mussten durch ein Meer von wild wucherndem Bambusgras, brauchten einen halben Tag, um ihren Weg durch mannshohes Gestrüpp zu schlagen, standen bis zur Brust im Schlamm, kletterten über steilen Fels. Aber letzten Endes kamen sie doch immer weiter nach Osten. Abends schlugen sie am Flussufer ihre Zelte auf und schliefen mit dem Heulen der Wölfe im Ohr ein. Moskitos übersäten ihre vom Bambusgrasschlagen blutig geschundenen Arme mit Stichen und drangen auf der Suche nach Blut sogar bis in die Ohrmuscheln vor.
Am fünften Tag in östlicher Richtung stießen sie auf einen Berg und erreichten schließlich den Punkt, an dem sie nicht mehr weiter konnten. Der junge Ainu erklärte, was jetzt noch käme, sei in gar keinem Fall mehr von Menschen bewohnbar. Und die Bauern hielten endlich inne. Es war der achte Juli 1880, zweihundertsechzig Kilometer nordöstlich von Sapporo.
Sie erkundeten die Landschaft, prüften die Wasser- und Bodenqualität und stellten fest, dass das Gebiet sich einigermaßen zur Landwirtschaft eignete. Sie teilten das Land unter den Familien auf und errichteten in der Mitte ein Blockhaus: die Gemeindehütte.
Der junge Ainu traf zufällig ein paar Ainu auf der Jagd und fragte sie: »Wie heißt die Gegend hier?« – »Warum sollte irgendjemand dieser beschissenen Gegend einen Namen geben? Das ist der Arsch der Welt«, bekam er zur Antwort.
Aus diesem Grunde blieb die Siedlung längere Zeit namenlos. Ein Dorf, in dessen Umkreis vierzig Kilometer keine weitere menschliche Behausung existiert (und selbst wenn, die Siedler waren ohnehin nicht an Kontakt interessiert), braucht auch keinen Namen.
1888 kam jedoch ein Beamter der Präfekturregierung, füllte Meldebögen für alle Dorfbewohner aus und meinte, er bekäme Schwierigkeiten, wenn das Dorf keinen Namen hätte. Die Siedler sahen darin zwar kein Problem, hielten aber doch – Hacke und Sichel in der Hand – in der Gemeindehütte eine Versammlung ab und fassten den Beschluss, dem Dorf keinen Namen zu geben. Dem Beamten blieb nichts anderes übrig, als selbst die Initiative zu ergreifen: Er entschied sich für Junitaki (»Zwölfwasserfall«)-Weiler, da der am Rande der Siedlung entlangfließende Fluss zwölf Wasserfälle hatte. Diesen Namen verwendete er in seinem Bericht an die Präfekturregierung, und von diesem Tage an war »Junitaki-Weiler« (später »Junitaki-Dorf«) offizieller Dorfname. Aber wir sind der Zeit vorausgeeilt. Kehren wir in das Jahr 1881 zurück.
Das Land lag zwischen zwei Bergen, die in einem Winkel von sechzig Grad aufeinander trafen und zwischen denen der Fluss ein tiefes Tal gezogen hatte. Bei diesem Anblick lag in der Tat die Bezeichnung »Arsch der Welt« nahe. Der Boden war von Bambusgras bedeckt, und riesige Nadelbäume schlugen ihre Wurzeln tief in die Erde. Wölfe, Hirsche, Bären, Feldmäuse und die verschiedensten großen und kleinen Vögel kreuchten und fleuchten umher, auf der Suche nach Fleisch, Fisch oder dem Grün der kargen Bäume.
»Ihr wollt also wirklich hier leben?«, fragte der junge Ainu vorsichtshalber.
»Natürlich!«, antworteten die Bauern.
Warum, blieb unklar, aber der junge Ainu kehrte nicht wieder in seine Heimat zurück, sondern blieb bei den Bauern. Offenbar aus Neugierde, mutmaßte der Autor (er hatte offenbar eine Schwäche für Mutmaßungen). Stark zu bezweifeln bleibt jedoch, ob die Siedler den ersten Winter ohne weiteres überlebt hätten, wenn er nicht bei ihnen geblieben wäre. Er lehrte sie, Wintergemüse auszugraben, sich vor Schnee zu schützen, aus dem zugefrorenen Fluss Fisch zu fangen, Wolfsfallen aufzustellen, sich zum Winterschlaf rüstende Bären zu vertreiben, aufgrund der Windrichtung Wetteränderungen vorauszusagen, Erfrierungen zu vermeiden, aus Bambusgraswurzeln ein schmackhaftes Gericht zu kochen und Nadelbäume so zu fällen, dass sie in eine bestimmte Richtung umfielen. So wurde der junge Ainu allmählich von den Siedlern anerkannt und erlangte auch sein Selbstbewusstsein wieder. Er heiratete eine Bauerstochter, mit der er drei Kinder hatte, und nahm sogar einen japanischen Namen an. Er hörte also auf, »Zunehmender Mond, Abnehmender Mond« zu sein.
Doch allen Anstrengungen des jungen Ainu zum Trotz
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