Wilde Wellen
Paris das groÃe Glück zu machen. Und das hatte er wahrhaftig. Mit den Traktoren hätte er das nie erreicht. Dafür war die Fabrik viel zu klein gewesen. Mit den groÃen Konkurrenten vor allem aus Ãbersee hätte er niemals mithalten können. Das Merkwürdige war, dass François nicht einmal versucht hatte, die Fabrik zu verkaufen. Ein paar Hunderttausend Francs hätte er sicher dafür bekommen. Aber das schien er nicht nötig gehabt zu haben. In Marie begann es zu kribbeln. Sie hatte immer das Gefühl gehabt, dass es um den Untergang der Helena ein Geheimnis gab, und jetzt spürte sie, dass sie ganz nahe daran war, es zu lösen. Aber vielleicht irrte der Alte sich auch. Mit seinen neunzig Jahren oder mehr brachte er vielleicht einiges durcheinander. Es konnte doch sein, dass sein Gedächtnis ihn im Stich lieÃ, was die Produktionszahlen anging. SchlieÃlich hatte sie bei der Versicherung den Lieferschein gesehen. Fünfzig Traktoren waren Leon Menec geliefert worden. Für die irische Firma, die genau diese fünfzig Traktoren geordert hatte. Und wenn er sich nicht irrte? Wenn es wirklich nur fünf gewesen waren? Oder höchstens zehn? Dann hätten Leon und François einen groÃangelegten Versicherungsbetrug begangen, mit dessen Gewinn sie sich beide eine neue Existenz hätten aufbauen können. Aber wenn sie wirklich vorgehabt hatten, die Versicherung abzuzocken, dann hätten sie es doch nicht darauf ankommen lassen, dass es ausgerechnet in der Zeit, in der die Helena auf dem Weg nach Irland gewesen war, vielleicht zu einem Sturm kommen würde. Dann hätten sie nachhelfen müssen. Und dann wären sie nicht nur für den Untergang des Schiffes verantwortlich gewesen, sondern hätten auch den Tod der zwölf Seeleute in Kauf genommen. Sie wären nicht nur Betrüger. Sie wären auch Mörder. Diese Erkenntnis verschlug Marie den Atem. Wenn das wirklich wahr war, was spielte dann ihr Vater für eine Rolle in diesem verbrecherischen Spiel? Der als Einziger überlebt hatte?
Paul hatte keine Kraft mehr. Noch ein paar Sekunden und dann würde er sich nicht mehr an dem Ast, der erstaunlicherweise immer noch hielt, festklammern können. Nebel war aufgekommen. In groÃen Schwaden waberte er vom Meer gegen das Land. Hüllte den verzweifelten Mann, dem langsam die Sinne schwanden, ein. Das Tosen des Meeres wurde leiser, Paul spürte, dass ihm die Sinne zu schwinden begannen. Das war es also wirklich. Er würde sterben. Sollte er noch einmal um Hilfe rufen? Es hatte keinen Sinn. Er war allein. Selbst wenn jetzt ein Auto an der Klippe entlanggefahren wäre oder sogar ein Radfahrer die kleine StraÃe befuhr, er würde ihn nicht hören. Wieso lieà er nicht einfach los? Und machte der Angst ein Ende? War es wirklich so schlimm, das Sterben? Einfach loslassen und in das weiÃe Nichts fallen. Der Sturz würde kurz sein. Bevor er es merkte würde er aufgeschlagen sein. Die Knochen würden bersten, seine Lunge würde platzen von der Wucht des Aufpralls, sein Herz würde in Stücke gerissen, bevor er realisiert haben würde, dass das nun wirklich das Ende sein würde.
Er sah Maries Gesicht vor sich. Ihre dunklen Augen, die vor Lust geglüht hatten, als sie sich gestern geliebt hatten. Er hörte ihr flirrendes Lachen, als sie sich ausgemalt hatten, dass sie zwölf Kinder haben würden. Er wäre so gern mit ihr alt geworden. Wie sie wohl aussehen würde, wenn die Jahre ihre Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen hätten? Er hätte jede Falte an ihr geliebt. Marie. Sein letzter Gedanke sollte Marie gelten. Ich liebe dich, Marie, dachte er, ich hätte alles getan, um dich glücklich zu machen. Jetzt verlieà ihn die Kraft endgültig. Der Ast rutschte aus seiner Hand. Er fiel. Nichts verband ihn mehr mit der sicheren Erde. Er fiel durch das weiÃe Nebelgewölk. Gleich würde er auf den Felsen aufprallen. Gleich würde es vorbei sein.
Marie spürte einen heftigen Stich in ihrem Herzen. Sie trat auf die Bremse, lenkte das Mietauto, mit dem sie unterwegs war, an den StraÃenrand. Keuchend stieg sie aus. Reckte sich, holte tief Luft. Ihr Herz schlug zum Zerspringen. Pauls Gesicht tauchte vor ihrem inneren Auge auf. War etwas mit ihm? Nervös suchte sie in ihrer riesigen Beuteltasche nach dem Handy. Wo war es nur? Sie musste mit Paul reden. Sie fand es. Wählte. Und hörte nur Pauls
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