Wilde Wellen
schon jemand gesagt?«
»Sie haben wohl versucht, sie zu erreichen. Aber keiner weiÃ, wo sie den ganzen Tag war.«
Das war das einzige Problem, das Caspar in diesem Augenblick noch hatte. Er hatte Marie nicht gesehen. Er hatte ihr nicht sagen können, dass sie Paul Racine vergessen konnte. Dass sie nun endgültig frei für ihn war. Alles andere hatte er erledigt. Er hatte die Yacht in Brest abgeholt und in den Hafen von Concarneau gebracht. Hatte Lebensmittel gekauft für die lange Reise. Ein paar schicke Klamotten für Marie. Und einen Ring mit einem groÃen Brillanten, den er in seiner Jackentasche trug. Sein Plan ging auf. Schon in ein zwei Tagen würde er mit Marie in das neue Leben starten. Ob er sich von seiner Mutter verabschieden sollte? Ob er ihr sagen sollte, dass er für ihre Pläne nicht mehr zur Verfügung stand. Er würde darüber nachdenken. Ein wenig Zeit hatte er ja noch. Obwohl, wenn er es sich richtig überlegte, er würde einfach gehen. So wie sein Vater sich ohne Abschied aus dem Staub gemacht hatte. Es würde keine Tränen geben, keine Versuche, ihn zurück zu halten, keine Vorwürfe, weil er seiner sogenannten Pflicht als Erbe nicht nachkommen würde. Seine Mutter würde es überleben. Sie würde traurig sein, natürlich. Aber sie würde neue Pläne schmieden. Und sich neue Ziele suchen. Dessen war er sich sicher.
Claire beobachtete ihren Sohn und fragte sich, was in ihm vorging. Wieso wirkte er mit einem Mal so ruhig? So entspannt? Lag es am Alkohol? Oder hatte er wieder einmal Drogen genommen? Sie würde ihm klarmachen, dass dies nun endgültig vorbei sein müsste. Er war Leons rechtmäÃiger Nachfolger. Schon morgen würde Maître Jumas ihm das verkünden. Und als solcher wäre kein Platz mehr in Caspars Leben für Ausschweifungen jeglicher Art. Schon bald würde sie sich nach einer geeigneten Frau für ihn umsehen. Einer Frau, die ihm den Rücken stärkte und ihm Halt geben könnte, wenn sie einmal nicht mehr sein würde. Natürlich würde das noch lange dauern. Doch Claire hatte gelernt, vorausschauend zu planen. Das Leben ging so schnell vorbei. Und es hatte immer wieder Ãberraschungen bereit. Auf die galt es vorbereitet zu sein. Immer. In jeder Sekunde des Lebens.
7
»Das ist nicht wahr.« Maries Stimme überschlug sich vor fassungslosem Schmerz, als Michel ihr mitteilte, was er von der Polizei erfahren hatte.
»Paul ist nicht tot. Er lebt. Er kommt hierher. Wir wollen dir sagen, dass wir hier in der Bretagne bleiben. In deiner Nähe.« Sie versuchte sich aus Michels Armen loszureiÃen. Wie konnte er behaupten, dass Paul nicht mehr lebte? Ãber die Klippe sollte er gestürzt sein? Aber man hatte in dem Nebel seinen Leichnam noch nicht gefunden. Das war absurd. Das war vollkommen absurd.
»Der Mann, der bei der Polizei angerufen hat, hat alles gesehen. Er sagte, er hätte versucht, Paul zu helfen, aber bevor er seine Hand erreichen konnte, sei er abgestürzt.«
Michel brannte das Herz vor Schmerz als er Maries Fassungslosigkeit sah. War er schuld an ihrem Unglück? Wenn er sie nicht hierhergebracht hätte, würde sie ein zufriedenes Leben in Paris führen.
»Er hat mir das Leben gerettet. Er ist mein Schicksal. Ich werde mit ihm leben. Bis ans Ende unserer Tage.« Marie weigerte sich, Michel zu glauben. Und dann erinnerte sie sich an den stechenden Schmerz, der ihr ins Herz gefahren war. War das in der Sekunde gewesen, in der Paul starb?
Hatte sie es gespürt, dass er sie verlieÃ? Waren sie so eng miteinander verbunden, dass sie den Moment seines Todes mit empfand? Als Marie aufsprang riss sie die weiÃe Tischdecke mit sich. Das Geschirr zerschmetterte auf dem Boden, die Gläser zersprangen in tausend winzige Scherben. Was war los mit ihr? Seit wann glaubte sie etwas, ohne es zu sehen? Bevor sie Pauls Leiche nicht gesehen hatte, würde sie nicht an seinen Tod glauben. Wer war überhaupt dieser anonyme Anrufer? Seit wann glaubte sie alles, was irgendein Verrückter ins Telefon brabbelte?
»Ich gehe nach Hause. Paul ist einfach irgendetwas dazwischengekommen. Ein Gespräch mit seinem Dekan. Oder er hat einen Platten am Motorrad. Oder was weià ich. Es ist sicher irgendetwas Harmloses. Er wird nach Hause kommen. Und ich werde da sein. So einfach ist das.«
Ohne ihren Vater noch einmal anzusehen, stürzte sie aus dem Lokal.
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