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Wilde Wellen

Wilde Wellen

Titel: Wilde Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Sadlo
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Taschen von Caspars Hosen griff. Und das fand, was sie vermutete. In einer Plastiktüte befand sich eine Handvoll kleiner weißer Pillen. Obwohl sie darauf gefasst war, die Drogen zu finden, schossen ihr doch die Tränen in die Augen. Hatte er es ihr nicht immer und immer wieder versichert, dass er nun wirklich clean sei? Nach dem letzten Entzug war er so fertig gewesen, dass er geschworen hatte, nun endgültig die Finger von dem Zeug zu lassen. Also doch nicht. Also hatte er doch wieder allen was vorgemacht. Und sie hatte sich etwas vormachen lassen. Während sie die Pillen ins Klo spülte, versuchte Claire sich einzureden, dass er ja vielleicht noch nichts davon genommen hatte. Vielleicht hatte er sich das Zeug nur besorgt, um sich zu beweisen, dass er der Versuchung widerstehen konnte. Doch in dem Moment, in dem sie diesen Gedanken dachte, wusste sie, das sie sich etwas vormachte. Sie fühlte, wie die Angst in ihr hochkroch. War ihr Sohn wirklich nicht zu retten? Die Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie weinte bitterlich. Warum Caspar? Ein Junge, dem es an nichts fehlte? Er wurde geliebt. Er bekam jeden Wunsch von den Augen abgelesen. Er sah blendend aus. Hatte einen guten Schulabschluss gemacht. Wieso konnte er die Finger nicht von den Drogen lassen? Sie durchsuchte Caspars Zimmer gründlich. Sie kannte alle seine Verstecke seit vielen Jahren. Doch sie waren leer. Sollte er wirklich nur dieses eine Tütchen gehabt haben? Das sie jetzt im Klo entsorgt hatte? Sie wagte kaum zu hoffen, dass sie ihn vielleicht gerade noch vor einem Rückfall erwischt hatte.
    Â»Bitte, lieber Gott, lass es so sein. Mach, dass er die Sucht überwunden hat.« Sie war schon lange nicht mehr gläubig. Das letzte Mal hatte sie Gott angefleht in der Nacht, als die Helena untergegangen war. »Bitte, lass sie nicht gesunken sein. Bitte, lass sie überleben. Alle. Oder wenigstens meinen Vater.« Sie hatte Gott einen Handel angeboten. Hatte ihm versprochen, eine Wallfahrt nach Lourdes zu machen. Auf den Knien. Und jeden Sonntag in die Kirche zu gehen. Wenn er nur ihren Vater überleben ließ. Doch Patrick Fedon, Claires Vater, war mit den anderen elf Seeleuten mit der Helena untergegangen. Nicht einmal sein Leichnam war gefunden worden. Claire hatte Gott verflucht, als die Nachricht kam, dass nur ein Mann überlebt hatte, nämlich der Kapitän der Helena . Sie hatte vier Wochen um ihren Vater geweint und vier Tage um ihre Mutter, die sich kurz darauf das Leben genommen hatte. Und sie hatte beschlossen, dass sie ihr Leben allein in die Hand nehmen würde. Und dass sie nie mehr in eine Situation kommen würde, in der sie die Hilfe Gottes oder eines anderen Wesens brauchen würde.
    Und doch flehte sie jetzt wieder um Hilfe – und fühlte sich hilfloser denn je. Sie wusste, dass ihr niemand helfen konnte. Dass niemand Caspar helfen konnte. Es war seine Entscheidung. Das war das Fatale. Alles andere konnte sie steuern. Nur nicht ihren Sohn. Und dabei war er ihr das Wichtigste.
6
    Jedes Mal, wenn Marie von einem ihrer Ausflüge zurückkam, wagte Michel es kaum, sie anzusehen. Die Furcht, dass sie irgendetwas erfahren haben konnte, über sich oder ihn, presste ihm das Herz zusammen. Genauso wie die Erkenntnis, das sie wieder einmal nichts erfahren hatte. Denn Maries Verzweiflung tat ihm weh. Er hatte keine Ahnung, wie lange er diesen Zustand noch würde aufrechterhalten können. Das schmale, traurige Mädchengesicht ansehen zu müssen, ging fast über seine Kräfte. Aber andererseits … er hoffte so sehr, dass sie ihn jeden Tag, an dem sie hier zusammenlebten, ein Stück mehr akzeptieren würde. Sie schafften es inzwischen, zusammen über seine verzweifelten Witze zu lachen. Er zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht, wenn er ihr in seiner Küche beibrachte, wie man Gemüse in Windeseile hackte. Sie fing an, sich ein wenig zu entspannen, wenn er ihr Abends wie einem kleinen Mädchen aus dem alten Märchenbuch vorlas, das Monique damals in der Eile ihres Aufbruchs vergessen hatte und das er wie einen Schatz aufbewahrt hatte. Jede Minute, jede Stunde, jeder Tag mit Marie zusammen waren Michel unendlich kostbar. Wie er dieses Mädchen liebte. Wie hatte er sie nur gehen lassen können? Wieso hatte er damals aufgegeben, um sie zu kämpfen? Dieses Mal würde er das nicht tun. Er durfte sie nicht wieder verlieren. Bevor dies geschah, würde er ihr

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