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Wilde Wellen

Wilde Wellen

Titel: Wilde Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Sadlo
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ihres Büros. Versuchte zu erspüren, was kommen würde. Entgegen der Annahme ihrer Kunden konnte sie nicht in die Zukunft sehen. Das Hellsehen gehörte nicht zu ihren Fähigkeiten. Aber diese Schwingungen, die unter der Oberfläche der Realität das Leben auf der Erde begleiteten, die konnte sie manchmal wahrnehmen. Hin und wieder hatte sie gedacht, dass sie in einem früheren Leben vielleicht eine Katze gewesen war. Die Erdbeben schon Tage vorher zu spüren imstande war. Aber Xavier hatte ihr gesagt, dass eigentlich alle Lebewesen diese Fähigkeiten in sich trugen. Bei manchen waren sie ausgeprägter, bei anderen fast verloren. Verschüttet durch das ständige Bemühen, das Dasein rational zu erklären. Vielleicht war es aber auch ein Schutzmantel, den sich die Menschen im Laufe der Jahrtausende zugelegt hatten, der half, die kurze Spanne Zeit, die sie auf Erden hatten, einigermaßen unbeirrt zu erleben. War es nicht besser, von den Ereignissen überrascht zu werden? Entspannt bis zum dem Zeitpunkt, an dem das Unvermeidliche eintrat? Oder wäre es hilfreich zu wissen, dass etwas passieren würde? Man könnte sich innerlich darauf einstellen, würde vielleicht die kurze Zeit, die einem bliebe, sinnvoll nutzen. Oder sie damit verbringen, voller Angst auf das Ende zu starren. Céline hatte keine Wahl. Sie hatte sich diese Fähigkeiten nicht ausgesucht, und danach, ob sie so hätte werden wollen, wie sie heute war, mit all den Konsequenzen, die daraus entstanden waren, hatte sie niemand gefragt.
    Als ein Schwarm Raben plötzlich nah am Fenster vorbeiflog, wie düstere Boten der Nacht, zuckte Céline zurück. Sie wusste, dass Raben als die Vögel der Weisheit angesehen wurden. Das hinderte sie aber nicht daran, vor ihnen zu erschrecken.
    Â»Schluss für heute, Céline.« Sie zuckte zusammen, als sie Leons Stimme hinter sich hörte. »Es ist spät. Morgen ist auch noch ein Tag.«
    Â»Ich will nur noch die aktuellen Positionen überprüfen. Die Sandrine hat gefunkt, dass sie noch einen Tag draußenbleiben. Und die Margot …«
    Â»Das hat Zeit bis morgen. Geh nach Hause, wir brauchen alle unseren Schlaf.«
    Leon Menec war wirklich das, was man einen guten Chef nannte. Nie war er ungeduldig mit ihr. Nie bürdete er ihr zu viel auf. Seit er diese Firma hatte, hatte er sich um seine Angestellten gekümmert. Er kannte sie alle mit Namen, wusste, ob sie verheiratet waren oder Kinder hatten. Sogar, wenn sie sich Kinder wünschten und keine bekommen konnten, wusste er Bescheid.
    Â»Céline!«
    Â»Ich brauche nur noch ein paar Minuten. Geh nur schon, ich schließe dann ab. Claire wartet nicht gern.«
    Er löschte die Lampe auf seinem Schreibtisch und nahm den alten Aktenkoffer, den er von seinem Vater geerbt und nie durch einen neuen, modernen ersetzt hatte.
    Â»Ich wünschte mir, jemand würde auch auf dich warten.«
    Sie wusste, dass er das ernst meinte. Der Gedanke, dass sie allein in ihrem kleinen Haus lebte, behagte ihm nicht.
    Â»Merlin wartet auf mich. Hast du das vergessen?« Sie zwang sich zu einem Lächeln, als sie ihn ansah. Sie wollte nicht, dass er sich Sorgen um sie machte. Sie wollte nicht, dass er sich überhaupt Gedanken um sie machte.
    Â»Okay, dann gute Nacht. Bis morgen, Céline.«
    Sie atmete auf, als er die Tür hinter sich schloss. Sie würde noch ein paar Stunden hier sitzen, sich mit Arbeit ablenken. Und dann, wenn sie müde genug war, würde sie nach Hause gehen, um in einen erschöpften, traumlosen Schlaf zu fallen.
    Â»Ist alles in Ordnung?« Sie zuckte zusammen, als sie seine Stimme noch einmal hörte. Sie hatte nicht gemerkt, dass er zurückgekommen war.
    Â»Natürlich. Aber gut, dass du noch da bist. Ich habe vergessen, dir zu sagen, dass ich den Notartermin auf Mittwoch gelegt habe. Elf Uhr dreißig bei Maître Jumas. Er wird das Testament dann schon vorbereitet haben, sodass du nur noch zu unterschreiben brauchst.«
    Â»Mittwoch schon? Das hätte doch noch Zeit gehabt.«
    Â»Wichtige Dinge soll man nicht auf die lange Bank schieben. Und für Claire ist es nun mal wichtig, dass du deine Angelegenheiten in Ordnung bringst. Du willst doch nicht, dass sie sich Sorgen macht.«
    Sie sah ihn nicht an, als sie das sagte. Er ging zum Fenster, sah hinaus in die Nacht. Alt war er geworden im letzten Jahr. Man sah ihm die fünfundsechzig nun

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