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Wilde Wellen

Wilde Wellen

Titel: Wilde Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Sadlo
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verantwortlich war?
    Â»Kannst du nicht einfach so tun, als wäre diese Sache mit Marie so etwas wie ein Geschenk gewesen? Wieso nimmst du diese paar Tage, die du mit ihr verbringen durftest, nicht als etwas unerwartet Schönes, mit dem du nie gerechnet hast?«
    Leon wusste, dass er einen schwierigen Kampf auszufechten hatte. Er hatte nie einen aufrechteren Menschen in seinem Leben kennengelernt als Michel. Deswegen hatte er auch nie daran gezweifelt, dass er ihn nicht verraten würde. Dass er damals unter Lebensgefahr den Freund aus der einstürzenden Höhle gerettet hatte, war ein unverbrüchliches Band zwischen ihnen beiden. Seinen Lebensretter verriet man nicht. So einfach war Michels Rechnung. Und darauf hatte sich Leon bis jetzt verlassen können.
    Â»Wenn du ihr jetzt alles erzählst, wird sie vielleicht – und ich sage ganz bewusst vielleicht – verstehen, dass du Monique und sie hast gehen lassen. Das ist tatsächlich möglich. Aber wird sie dir verzeihen? Wird alles gut werden zwischen euch?«
    Leon hatte ja recht, es konnte gar nicht mehr gut werden zwischen ihm und Marie. Wie hatte er sich das nur einreden können? Aber dieser Anruf aus dem Krankenhaus – er war wie ein Wink des Schicksals gewesen. Sie hatten bei Marie nicht die Telefonnummer ihres Freundes gefunden, weil ihr Handy, in das sie alle Nummern gespeichert hatte, bei der Schießerei kaputtgegangen war. Ihn hatten sie als Erstes ausfindig gemacht. Den Vater. Zu dem sie die meiste Zeit ihres Lebens keinen Kontakt gehabt hatte. Aber das hatten die Ärzte nicht gewusst. Für sie war er der nächste Angehörige des Opfers; er musste sich um Marie kümmern.
    Vielleicht sollte er wirklich Ruhe geben. So oft in seinem Leben hatte er überlegt, wie es seiner Tochter wohl gehen mochte. Wie sie aussah. Ob sie verheiratet war, einen Beruf hatte. Damals, als er in der Zeitung gelesen hatte, dass Monique tödlich verunglückt war, hatte er darüber nachgedacht, Kontakt zu Marie aufzunehmen. Er hatte ihr beistehen wollen, sie trösten. Für sie da sein, jetzt, da sie außer ihm keinen Verwandten mehr hatte. Ein paar Nächte hatte er die Situation durchgespielt. Wie es sein würde, sie zu treffen. Ihr zu sagen, wer er sei. Aber schließlich hatte ihm doch der Mut gefehlt. Wie hätte er seiner Tochter erklären sollen, dass er sie einfach hatte gehen lassen?
    Â»Sie ist schön. Und sie ist stark. Sie hat einen Beruf. Und wahrscheinlich gibt es auch einen Mann in ihrem Leben. Glaubst du wirklich, dass sie dich braucht, Michel? Sie hat nie einen Vater gehabt. Sie braucht auch jetzt keinen.« Konnte es sein, dass Leon recht hatte? Wieso war er nicht einfach froh darüber, dass sie so ein wunderbarer Mensch geworden war, der offensichtlich sehr gut im Leben zurechtkam? War das nicht alles, was ein Vater sich für seine Kinder wünschen konnte?
    Â»Sie hasst mich.«
    Â»Zu Recht, mein Freund. Du warst nicht für sie da. Und jetzt ist es zu spät.«
    Würde Michel begreifen, was er zu tun hatte? Oder besser: Würde er begreifen, was er zu lassen hatte?
    Â»Weißt du, wie oft ich mir gewünscht habe, ich wäre mit der Helena untergegangen?«
    Leon nickte. Er konnte es sich vorstellen. Und wenn er ehrlich war – vielleicht wäre es ja das Beste gewesen.
3
    Würde sie sich umdrehen? Paul hoffte, dass Marie ihn noch einmal ansehen würde, bevor sie durch die Tür des Flughafens verschwand. Es war ihm unerklärlich, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass er sie jetzt in diesem Moment zum letzten Mal sehen sollte. Ihr schmaler Rücken, auf den der dunkle, nachlässig zusammengebundene Pferdeschwanz fiel, rührte ihn. Sie wirkte so verletzlich und einsam, wie sie mit hängenden Schultern und langsamem Schritt durch die große Glastür ging. Am liebsten wäre er hinter ihr hergelaufen und hätte ihr gesagt, dass er sie begleiten würde. Wenn er wenigstens den Mumm gehabt hätte, sie nach ihrer Telefonnummer zu fragen. Und ob er sie anrufen, sie vielleicht sogar wiedersehen dürfe. Aber war das der richtige Zeitpunkt für ein Date? Definitiv nicht. Sie hätte bestimmt kein Verständnis für seine Bitte gehabt. Ausgerechnet jetzt, da sie sich mit ihrem Leben, das sie schon verloren geglaubt hatte, konfrontieren musste. Außerdem gab es da doch einen Mann in Maries Leben: Thomas. Sie konnte es kaum erwarten,

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