Wilde Wellen
mit Marie meinte; bislang waren alle seine Beziehungen nach ein paar Monaten Vergangenheit gewesen. Claire hatte sich oft gefragt, wieso ihr Sohn sich nicht dauerhaft binden wollte, wieso die Mädchen, die er mit ins Haus brachte, entweder so schrill oder so langweilig waren. Aber als kluge Mutter hatte sie sich der Kommentare meistens enthalten. Sie hatte genug Schwierigkeiten mit ihrem Sohn, da wollte sie nicht auch noch über seine Freundinnen mit ihm streiten. Zumal sie es ja doch nie sehr lange waren. Ob es mit Marie etwas anderes sein würde? Sie wusste, dass sie das nicht zulassen konnte. Wenn sich Caspar zu eng an Marie band, würde das bedeuten, dass auch seine Beziehung zu Michel intensiver werden würde. Und das musste verhindert werden. Michel drohte zu einem sentimentalen alten Mann zu werden. Wer wusste schon, was er Caspar erzählen würde, wenn der erst einmal in seinem Haus ein und aus ging? Sie schüttelte den Kopf. Was für absurde Gedanken. Marie war weg. Caspar würde sich damit abfinden und ein neues Mädchen finden. Und Michel würde sich beruhigen. Er würde sein Leben weiter so führen, wie er es bis jetzt auch getan hatte. â Und wenn nicht? Claire hielt in der Bewegung inne. Würde Leon Michel in den Griff bekommen? Oder würde sie sich einschalten müssen? Auf jeden Fall musste sie die Sache im Auge behalten, bevor sie aus dem Ruder lief. Und wenn nötig würde sie handeln müssen. Und dieses Mal, das schwor sich Claire, würde sie dafür sorgen, dass die Sache richtig gemacht würde. Es war in der letzten Zeit schon viel zu viel schiefgegangen.
5
Michel wollte gerade sein Restaurant abschlieÃen, als die Tür von auÃen geöffnet wurde. Einen Moment schoss in ihm die Hoffnung hoch, Marie sei zurückgekehrt.
»Michel, bon soir, sag nicht, das Restaurant ist schon zu.«
Sabine du Maurier sah, dass es ihrem alten Freund Michel nicht gut ging. Seine Haut war grau und sein Blick stumpf.
»Sabine.«
Michel gelang es nicht, die Enttäuschung zu verbergen, dass es nicht Marie war, die da in der Tür stand, sondern Leons Exfrau. Sie umarmte ihn und küsste ihn auf beide Wangen.
»Kann ich noch ein Glas Wein bekommen? Ich bin gerade gelandet, und in meiner Küche findet sich weder etwas Ess- noch etwas Trinkbares.«
»Aber natürlich, komm rein. Du kannst auch noch eine Suppe haben oder ein wenig Coq au Vin.«
»Ein Glas von deinem Bordeaux genügt mir. Gegessen hab ich noch im Flieger. Allerdings, wenn ich störe â¦Â«
»Nein, du störst nicht. Tut mir leid, ich bin ein bisschen durch den Wind heute. Der Laden war brechend voll, und ich habe die Crème brulée versaut. Kein guter Tag heute.«
Eigentlich freute sich Michel immer, Sabine zu sehen. Auch nach der Scheidung von Leon waren sie befreundet geblieben. Er holte eine Flasche Wein und zwei Gläser und setzte sich mit Sabine an einen Tisch am Fenster.
»Du siehst toll aus. Die Monate in Mexiko scheinen dir gutgetan zu haben.«
»Ja, es war groÃartig. Ich habe gemalt wie eine Besessene. Diese Farben, das Licht, die Menschen. Es ist mir schon lange nicht mehr so gut gegangen.«
»Das freut mich. Ich bin gespannt auf deine Bilder.«
»Deswegen bin ich auch hier. Ich will so schnell wie möglich eine Ausstellung machen. Und dich brauche ich fürs Catering.«
Sie lieà ihr Glas an das seine klingen.
»Santé, Michel.«
»Santé, Sabine. Schön, dass du wieder da bist. Wann soll die Ausstellung denn sein? Und mit wie vielen Fans rechnest du?«
»Ach, ich glaube, es werden die üblichen hundert Verdächtigen kommen. Ãbernächsten Samstag, dachte ich, könnte ein guter Tag für die Vernissage sein.«
»Gut. Dann hab ich ja noch ein bisschen Zeit. Wie wärâs, wenn ich in den nächsten Tagen mal vorbeikomme und dir ein paar Kostproben bringe?«
Er bemühte sich sehr, professionell interessiert zu wirken. Aber Sabine entging nicht, dass sein Blick immer wieder nach drauÃen schweifte.
»Erwartest du noch jemanden? Ich will dich auf gar keinen Fall von etwas abhalten.«
»Nein, das tust du nicht. Ich erwarte niemanden.«
Er schüttete das Glas Wein in einem einzigen Schluck in sich hinein.
»Was ist los, Michel? Ist irgendetwas passiert, als ich weg war?«
Ja, es war etwas passiert. Sein ganzes Leben war für eine kurze Zeit auf den
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