Wilde Wellen
stehst?« Verschmitzt hielt sie das Foto von Céline hoch, das auf dem Schreibtisch gelegen hatte. »Das ist doch diese Céline Marchand. Stehst du auf sie?«
Paul versuchte ihr das Foto wegzunehmen.
»Ach, das hab ich nur zufällig.«
»Hallo, du wirst ja rot.« Sie lachte und war doch erstaunt über seine Reaktion. »Muss ich vielleicht eifersüchtig sein? Schon nach der ersten Nacht?«
»Ich kenne die Frau überhaupt nicht.« Er wollte nicht über Céline reden. Nicht nach dieser Nacht. Er steckte das Foto in den Ordner zurück, in dem er die Unterlagen über seine Mutter gesammelt hatte.
»Was wollen wir heute machen? Ich muss in die Uni, aber heute Nachmittag kann ich mir freinehmen. Willst du inzwischen was für uns einkaufen?«
Marie spürte, dass er ablenken wollte.
»Du hast dieses Foto doch nicht zufällig. Was hast du mit Céline Marchand zu tun?«
Er wusste, er würde ihr nicht entkommen. Und er wollte sie auch nicht anlügen. Er wollte diese Beziehung nicht mit einer Lüge beginnen.
»Okay, wenn du es so genau wissen willst: Céline Marchand ist meine Mutter.«
Marie sah ihn geschockt an.
»Hast du nicht gesagt, dass deine Eltern tot sind?«
»Mutter ist ja auch zu viel gesagt. Sie ist die Frau, die mich geboren hat. Sie hat mich zur Adoption freigegeben, am Tag meiner Geburt. Ich hab mit ihr nichts zu schaffen.«
Er ging unter die Dusche. Es war klar, dass er nicht über diese Frau reden wollte. Doch so einfach konnte er Marie nicht abwimmeln. Sie kam zu ihm unter die Dusche und drehte das Wasser ab.
»Weià sie, dass du hier bist?«
»Nein, tut sie nicht. Sie weià es nicht und wird es nicht erfahren. Ich will sie nicht sehen.«
Er drehte das Wasser wieder auf. Marie zog ihn unter der Dusche hervor. Stand ganz nah vor ihm.
»Zu mir sagst du, ich soll meinen Vater kennenlernen, und du gehst deiner Mutter aus dem Weg?«
»Sie ist nicht meine â¦Â«
»Genauso wenig wie Michel mein Vater ist. Wieso misst du mit zweierlei Ma�«
Tat er das wirklich? Natürlich tat er das.
»Ruf sie an. Triff dich mit ihr. Sie soll eine tolle Frau sein! Alle bewundern und achten sie hier.«
»Sie hat mich weggegeben.«
»Vielleicht hatte sie Gründe.«
»Sie ist eine Druidin. Wer braucht so was schon?«
»Keine Ahnung, aber du solltest wenigstens herausfinden, ob du das brauchst. Bevor du sie getroffen hast, kannst du das nicht wissen.«
Es waren die gleichen Argumente, mit denen er versucht hatte, Marie davon zu überzeugen, dass sie vielleicht ihren Vater doch kennenlernen sollte. Ihre Worte klangen wie ein Echo dessen, was er gesagt hatte.
Marie griff zum Telefonhörer.
»Ruf sie an. Jetzt gleich. Triff dich mit ihr und dann entscheide â¦Â«
Céline wollte auf dem Weg zum Büro noch Blumen holen. Leon liebte die opulenten SträuÃe, die immer frisch auf seinem Tisch standen. Als sie den Blumenladen betrat, stand Claire vor ihr.
»Céline. Hallo. Ist das nicht ein wunderbarer Tag? Du siehst aus, als hättest du gut geschlafen.«
Claire hatte einen Rosenstrauà im Arm. Sie war schön wie immer. Schon zu so früher Stunde war sie perfekt geschminkt und frisiert, das hellgraue Ensemble aus Etuikleid und leichtem Mantel sah aus wie aus einer Modezeitschrift.
»Nimm die Gladiolen, es dürften die letzten im Jahr sein. Rosen hat Leon schon zu Hause.«
»Danke für den Tipp. Ich wollte sowieso keine Rosen kaufen.«
Sie hatte Leon noch nie Rosen auf seinen Schreibtisch gestellt; sie war der Meinung, das stünde nur Claire zu. Rosen waren die Blumen der Liebe. Als Leons Sekretärin wusste sie, wo sie stand.
Ihr Telefon klingelte.
»Céline Marchand.«
Die Stimme des Manns war ihr unbekannt. Und doch zuckte sie zusammen. Ein Mann sagte, er sei Paul Racine.
»Ja, doch, ich ⦠Ich habe schon von Ihnen gehört, Monsieur Racine.«
Claire, die ihre Rosen bezahlte, rührte sich nicht. Doch der Schreck fuhr ihr ins Herz.
»Natürlich können wir uns treffen, wenn das für Sie so wichtig ist. Heute Abend, natürlich. Ich wollte zwar am Menhir die letzten Herbstzeitlosen suchen, aber ⦠Gern, wir können uns gern dort treffen. Um halb acht? Ja. Ich werde da sein, Monsieur Racine. Bis dann.«
Claire drehte sich zu Céline um. Ihr Lächeln war offen wie immer.
»Was verheimlichst du
Weitere Kostenlose Bücher