Wilde Wellen
Haus keinem Fremden zugänglich sein.
»Darf ich fragen, was Sie hier machen?«
»Céline war meine Freundin. Ich hatte plötzlich so ein Bedürfnis ⦠ach, ich wollte ihr noch einmal nahe sein. Wissen Sie, ich bin so oft hier bei ihr gewesen. Ich habe gehofft, dass â¦Â«
Sie drehte sich weg, wie um ihre Tränen vor den beiden Polizisten, die sie jetzt betreten ansahen, zu verbergen.
Sie schluchzte leise auf.
»Es tut mir leid.« Bernard Tessiers Verlegenheit war groÃ. Wer war er, dass er der Frau von Leon Menec untersagen konnte, Abschied von ihrer toten Freundin zu nehmen? »Aber ich muss das Haus versiegeln.«
»Natürlich. Ich verstehe das. Tun Sie Ihre Pflicht, Monsieur Tessier.«
Sie nickte ihm und seiner Kollegin Madeleine zu und verlieà das Haus. Damit hatte sie nicht gerechnet, dass die Polizei das Haus versiegeln würde.
»Obwohl â ich verstehe nicht ganz, was hat das denn zu bedeuten? Glauben Sie denn, dass Sie hier einen Hinweis auf den Unfallfahrer finden? Ist das nicht ein wenig abwegig?«
Bernard Tessier nickte. Sie hatte ja recht; er wusste auch nicht so genau, was diese MaÃnahme bringen sollte.
»Vielleicht, wenn Céline mit dem Mann verabredet gewesen wäre ⦠Sie könnte sich eine Notiz gemacht haben. Die Spurensicherung wird sich hier umschauen.«
Es war klar, die Polizei würde das Haus durchsuchen. Und vielleicht würde sie auf das stoÃen, was Claire nicht gefunden hatte.
Es war Marie gewesen, die Bernard Tessier zu dieser MaÃnahe veranlasst hatte. Sie war am frühen Morgen auf der Polizeistation in Brest erschienen und hatte verlangt, darüber informiert zu werden, was sie über Célines Tod bis jetzt herausgefunden hatte. Es war klar, dass sie kein Recht hatte, nach den Ermittlungen zu fragen. Ebenso klar war aber auch, dass sie eine Kollegin war. Die auch noch aus der Gegend stammte. Bernard hatte Marie am Unfallort sofort erkannt. Das Bild der Polizistin, die von dem Junkie in Paris angeschossen worden war, war in allen Zeitungen gewesen. Marie Lamare, die Tochter des bekannten Sternekochs Michel Dumont aus Concarneau. Wie sollte er ihr eine Auskunft verweigern? Es war deutlich, dass es Marie wichtig war, dass man den Fahrer des Autos so schnell wie möglich fand.
»Die Leute sind schockiert über Célines Tod. Wir wissen doch aus Erfahrung, dass sie erst wieder ruhig werden, wenn der Täter zur Verantwortung gezogen wird.«
Bernard musste zugeben, dass sie damit nicht unrecht hatte. Aber er wusste auch, dass die Sache schwierig werden würde. Es gab keine Zeugen. Es gab keine Hinweise auf das Auto. Keine Lackspuren am Fahrrad, die wenigstens auf die Farbe gedeutet hätten, keine Reifenspuren. Nichts. Aber die Polizei durfte nicht den Anschein erwecken, untätig zu sein. Also hatte Bernard beschlossen, sich wenigstens Célines Haus anzusehen. Obwohl er sich sicher war, dass er dort nichts finden würde.
Es war nicht so, dass Marie ihren bretonischen Kollegen nicht getraut hätte. Aber vier Augen sahen besser als zwei oder sechs. Jedenfalls stand sie nun am Ort des Unfalls und sah sich um. Konnte ein Mensch wirklich ums Leben gebracht werden, ohne dass es eine einzige Spur gab? Sorgfältig suchte sie die StraÃe und die Wiese um den Unfallort ab. Aber da war nichts. Nur dieser verwaschene Blutfleck auf dem Asphalt erinnerte noch daran, was hier passiert war. Und doch, da war dieses Gefühl. Diese Frage, wieso Céline ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt ums Leben gekommen war. Kurz bevor sie sich mit dem Mann treffen wollte, der ihr Sohn war.
»Ich habe gehört, dass ein Mann sie gefunden hat.« Marie zuckte zusammen, als sie Claires Stimme hörte.
»Paul Racine, ja. Er ist Archäologe an der Uni Brest. Er hat bei den Menhiren gearbeitet, und als er nach Hause fahren wollte, hat er Céline gefunden.«
Marie erzählte Claire nicht, dass Paul mit Céline verabredet gewesen war. Diese tragische Geschichte ging niemanden etwas an. Sie ahnte nicht, dass Claires Herz aussetzte, als sie hörte, dass es Paul gewesen war, der Céline gefunden hatte.
Natürlich â wieso hatte sie nicht selbst daran gedacht? Sie waren ja verabredet gewesen. Als Céline nicht gekommen war, hatte sich Paul wohl aufgemacht, sie zu suchen. Plötzlich war da der Schimmer einer neuen Idee.
»Ist es denn sicher, dass er sie nur gefunden hat? Er war
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