Wilde Wellen
finden. Ein Lied, das seinen Ursprung in Célines bretonischer Heimat hatte. Sie hatte sich eine Liste auf den Küchentisch gelegt und alle ihre Ideen notiert. Als der Sugo vor sich hin köchelte machte sie eine Flasche Rotwein auf und setzte sich an den Tisch. Gut, dass ihre Köchin Mimi heute frei hatte. Claire hatte sich in der groÃen, perfekt ausgestatteten Schlossküche mit dem alten rot-weiÃen Fliesenboden schon immer wohl gefühlt. Sie mochte die Gerüche, sie mochte die Geräusche, wenn Saucen blubberten oder Fleisch scharf angebraten wurde. Wenn sie Leon nicht getroffen hätte, wäre sie vielleicht sogar Köchin geworden.
Ob Caspar schon wusste, was passiert war? Leon würde ihn jetzt wirklich brauchen. Caspar würde Céline nicht ersetzen können, natürlich nicht. Aber er würde Leon unterstützen, wo immer es nötig war. Am besten würde es sein, wenn er zunächst einmal Célines Büro übernehmen würde. Da wäre er in der Nähe seines Vaters und würde jederzeit für ihn da sein können. Das war eine gute Idee. Allerdings, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf, sollte sie vorher noch Célines Schreibtisch aufräumen. Wer konnte schon wissen, was in ihm verborgen lag? Und da war ja auch noch Célines Haus. Und der Hund. Wo war eigentlich der Hund? Irgendjemand hatte erzählt, dass ein Mann ihn mitgenommen hatte. Der Mann, der Céline gefunden hatte. Sie runzelte die Stirn. Merlin war mit einem Fremden mitgegangen? Er hatte sich von ihm von Célines Leichnam wegbringen lassen?
»Hier hast du dich verkrochen.« Leon lächelte müde, als er seine Frau an dem groÃen, schweren Küchentisch sitzen sah.
»Ich dachte, Spaghetti Bolognese würden dir guttun.«
»Dein Allheilmittel gegen jede Art von Kummer? Lieb von dir. Aber ich fürchte, ich bringe heute nichts runter.«
Sie schenkte ihm ein Glas Wein ein, reichte es ihm.
»Céline würde nicht wollen, dass du zusammenklappst.«
Sie umarmte ihn. Hielt ihn einen Moment fest.
»In schweren Zeiten muss man wenigstens was Anständiges im Magen haben.«
Er trank einen Schluck Wein. Und war froh, dass Claire in solchen Situationen nicht den Kopf verlor. Es war bewundernswert, wie sie Haltung bewahrte. Immerhin war Céline auch ihre Freundin gewesen. Sicher war sie genauso geschockt über ihren Tod wie er.
»Vielleicht willst du jetzt noch nicht darüber reden, aber ich habe mir Gedanken über Célines Beerdigung gemacht.« Sie lächelte traurig »Jemand muss es ja tun.«
»Ja. Jemand muss es tun. Ich bin froh, dass du deine fünf Sinne zusammenhältst, Claire.«
»Es klingt so schäbig, aber es ist nun einmal wahr: Das Leben geht weiter, Leon. Die Toten haben es hinter sich. Aber wir Lebenden müssen weitermachen. Und wenn ich ehrlich bin â ich bin froh darüber. Es ist ein Glück, am Leben zu sein.«
Sie küsste ihn. Spürte, dass seine Erstarrung endlich nachlieÃ.
»Ich helfe dir, dass du darüber wegkommst. Caspar und ich stehen dir bei, darauf kannst du dich verlassen«
»Wobei soll ich Papa beistehen?«
Caspar stand plötzlich in der Küche. Grinste. Es war deutlich, dass er ein wenig angetrunken war. Und dass er keine Ahnung hatte, was passiert war.
»Spaghetti Bolognese. Was ist passiert? Mama, du hast doch nicht wieder eine Delle in Papas Auto gefahren?«
Als er nun erfuhr, was geschehen war, war es Caspar peinlich, dass er so flapsig reagiert hatte. Aber er hatte keine Ahnung von dem Unfall gehabt. Er war mit ein paar Kumpels in einem neuen Club in Brest gewesen. Und hatte sich nur gewundert, dass in der Küche noch Licht brannte, als er nach Hause kam.
»Natürlich werde ich dich unterstützen, Papa. Du kannst dich auf mich verlassen.« Er umarmte seinen Vater, den Célines Tod vollkommen fertigzumachen schien. Okay, das war nun eine Falle, mit der er nicht gerechnet hatte. Jetzt war sein Typ ja wohl tatsächlich gefragt. Seine Mutter würde nicht zulassen, dass er auch nur einen Tag die Arbeit schwänzte. Er gehörte an die Seite seines Vaters, hatte sie gesagt. Und zwar für jetzt und alle Zeiten. Innerlich verfluchte er Céline. Was musste sie auch bei so einem ScheiÃwetter mit dem Fahrrad unterwegs sein? Hätte sie nicht zu Hause bleiben könne? Hätte sie nicht einfach am Leben bleiben können? Caspar lieÃ
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