Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
Sie hielt inne, um Atem zu holen, und Ross empfand eine finstere Zufriedenheit, als er hörte, daß er tödlich verwundet war, denn das erklärte, warum er so fühlte, als wäre sein Geist nicht mehr richtig mit seinem Körper verbunden. Da war kein Schmerz, nur Taubheit und eine schwebende Gelassenheit, als wäre er ein Stück Treibgut zwischen den Gezeiten des Todes.
Juliet fuhr fort, und ihre Worte echoten in der steinernen Schlucht: »Ich bin Gul-i Sahari, und meine Festung Serevan ist nur wenige Meilen von hier entfernt. Meine Männer werden bereits, alarmiert durch die Schüsse, hierher unterwegs sein. Ihr werdet keine Chance gegen sie haben.«
Zuerst kam keine Antwort. Dann ertönte eine Stimme von der anderen Seite der Schlucht. »Was ist mit unseren Toten?« »Shahid war ein grausamer Schlächter, aber er besaß die Tugend der Tapferkeit, und er starb in Ausübung seiner Pflicht!« rief Juliet zurück. »Wenn ihr in Frieden zieht, verspreche ich euch, daß er und der andere, der ebenfalls gefallen ist, in Ehren und nach Brauch der Sunniten begraben werden.«
Wieder gab es eine Pause, als würden die Überlebenden sich absprechen. Dann gellte die Stimme wieder herüber: »Wie können wir euch trauen? Wenn du dich zeigst, dann tun wir es ebenso.«
Ross wollte ihr zurufen: »Um Himmels willen, Juliet, trau ihnen bloß nicht!« - aber er konnte sich weder bewegen noch etwas sagen, er konnte nur hilflos zusehen, wie Juliet sich aufrichtete und an die Felskante trat.
Groß und stolz hob Juliet Cameron Carlisle, die Blume der Wüste und die Marquise von Kilburn, ihre offenen Handflächen über ihren Kopf, um zu zeigen, daß sie keine Waffe in der Hand hielt. Einen langen, schier endlosen Moment schien die ganze Schlucht den Atem anzuhalten. Mit ihrem leuchtenden Haar und dem schwarzen Gewand sah sie aus wie eine antike Kriegsgöttin, die Frieden anbot, doch töten würde, falls jemand ihr Vertrauen mißbrauchte.
Ross betrachtete sie im Profil, und das Bild traf ihn mit messerscharfer Klarheit. Es war ein Anblick, den er niemals vergessen würde, solange er lebte - was offenbar nicht mehr allzu lang sein würde. Der Gedanke rüttelte ihn vollständig wach, denn wenn er starb, mußte er ihr vorher sagen, wie sehr er sie liebte. Seltsam, daß am Ende des Lebens so wenig zählte: gewiß keine Besitztümer, kein Wissen oder Stolz. Nur noch Liebe.
In einer Stimme, die den Schock beim Anblick des Gegners nicht verbergen konnte, rief der Bucharer auf der anderen Seite: »Wir akzeptieren deine Bedingungen. Ein anderer ist tot, er heißt Meshedee Tajib. Wir werden seine Leiche auf dem Pfad zurücklassen, damit ihr ihn finden und begraben könnt.« »So wird es geschehen.« Juliet ließ eine Hand sinken, die andere blieb wie zu einem Segen über ihrem Kopf erhoben.
»Ihr seid tapfere Krieger, und ich wünsche euch eine sichere Heimkehr nach Buchara. Zieht in Frieden.«
»Und Friede sei mit dir, Herrin.« Kurz darauf erklang sich entfernendes Hufgetrappel auf der anderen Seite der Schlucht. Ross wollte den Augenblick ausnutzen, um Juliet alles zu sagen, was ihm auf der Seele brannte: daß er es niemals bereuen konnte, sie geheiratet zu haben, egal, wieviel Qual die Ehe ihnen beiden verursacht hatte. Mit immenser Anstrengung streckte er eine Hand aus, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, aber die Bewegung jagte ihm stechende Schmerzen durch seinen Schädel, und einmal mehr wurde es finster um ihn.
Er kam wieder zu Bewußtsein, als geschickte Hände seinen schmerzenden Körper abtasteten. Er erkannte ihre Berührung, öffnete die Augen und flüsterte: »Juliet.« Er wußte nicht, ob er tatsächlich einen Laut hervorgebracht hatte, bis sie sich zu ihm wandte und er die lebhafte Freude auf ihrem Gesicht entdeckte. Er versuchte, noch etwas hinzuzufügen, aber sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Schscht, Geliebter, spar deine Kraft.«
Er hätte gelacht, wenn er nicht so benebelt gewesen wäre. »Wofür soll . .. ein sterbender Mann seine Kraft sparen?«
»O Himmel, du hast gehört, was ich den Bucharern gesagt habe«, stellte sie reumütig fest. »Ich habe nur behauptet, du seist tödlich verwundet, damit sie auch wirklich verschwinden.« Sie beugte sich vor und strich federleicht mit ihren Lippen über seine Stirn. »Du stirbst nicht, Lieber. Im Gegenteil, du hast erstaunliches Glück gehabt. Shahids Kugel hat nur deine Schädeldecke gestreift und dich von deinem Posten gestoßen, aber die Büsche im Felsen
Weitere Kostenlose Bücher