Wilder als der Hass, süsser als die Liebe
haben deinen Sturz verlangsamt, und du bist auf ziemlich weichem Grund gelandet. Du wirst eine hübsche Sammlung von Prellungen vorweisen können, aber es scheint nichts gebrochen zu sein.« Er brauchte einen Moment, um seine Gedanken wieder auf eine Fortsetzung der Existenz einzustellen. Dann fragte er: »Murad?«
»Ian meint, die Kugel hätte den Arm glatt durchdrungen, und die Wunde ist sauber. Er hat sich den Kopf kräftig gestoßen, als er vom Pferd stürzte, aber es ist nicht weiter tragisch.«
Ross atmete erleichtert aus. »Wir haben verdammtes Glück gehabt.«
»Allerdings, aber nun müssen wir nach Serevan. Meinst du, du kommst mit meiner Hilfe runter zu den Pferden?«
»Wir werden sehen.« Mit Juliets beträchtlicher Unterstützung schaffte Ross es tatsächlich, sich aufzusetzen. Danach verschwamm alles zu einem Chaos aus Schmerz, Verwirrung und schwindendem Bewußtsein. Seine klarste Wahrnehmung war die, daß er auf einem trabenden Pferd geführt wurde, was ihm ein starkes Dejävu-Erlebnis verschaffte. Ja, das war schon einmal geschehen, als er mit Mikhal unterwegs gewesen war. Er hatte es langsam verdammt satt, angeschossen zu werden und danach wie ein Sack Kartoffeln herumtransportiert zu werden.
Dann beschloß er, daß es wirklich praktischer wäre, sich der Finsternis zu überlassen. Und so tat er es.
Als er das nächste Mal zu Bewußtsein kam, war sein Kopf sehr klar, und er fühlte sich gründlich ausgeruht. Abgesehen von dem Pochen an einer Seite des Schädels, ging es ihm gut. Versuchsweise spannte und entspannte er verschiedene Muskeln in seinem Körper und stellte fest, daß praktisch jeder von dem Sturz weh tat, aber nichts ernsthaft beschädigt war. Nachdem er die Augen geöffnet hatte, sah er, daß das Zimmer in das weiche, reine Licht des frühen Morgens getaucht war. Er lag wahrscheinlich in Serevan, und nach den wundervoll gemusterten, antiken Teppichen zu schließen, die an den weißgetünchten Wänden hingen, handelte es sich um Juliets eigenes Schlafzimmer.
Und da es so war, überraschte es ihn auch nicht sonderlich, als er nun erst bemerkte, daß er nicht allein war. Er wandte den Kopf und fand Juliet neben sich schlafend, eine Hand unter seinen Arm geschoben. Ihr Anblick war ein wundervoller Start in den Tag, denn sie trug nichts außer dem Goldkettchen mit dem Ehering als Anhänger. Im blassen Licht der Dämmerung schimmerte ihre helle Haut wie Perlmutt, und ihr Haar wirkte dunkel, nur mit einem Hauch von Kastanienbraun versehen. Behutsam zog er das Laken herunter, damit er mehr von ihren schönen Rundungen betrachten konnte.
Nein, er starb definitiv nicht. Nicht, wenn man aus dem schloß, wie sein Körp,er auf ihre Nähe reagierte.
Aber das, was so einfach gewesen war, als er an der Schwelle des Todes gestanden hatte, war nun wieder schwierig. Er zweifelte nicht daran, daß er Juliet liebte -diese Wahrheit war so gewaltig, daß er sie nicht abzustreiten versuchen konnte.
Das Problem war nicht die Liebe, sondern das Leben. Die Gefahr hatte sie beide wieder verbunden . . . aber ohne dieses Band, was blieb von ihrer Ehe? In Buchara hatten sie beide die Differenzen absichtlich ignoriert, weil sie sich gegenseitig dringend gebraucht hatten. Doch gegen alle Wahrscheinlichkeit hatten sie überlebt, und nun mußten sie sich den explosiven, unbeantworteten Fragen der Vergangenheit stellen.
Er wünschte sich so sehr, sie mit nach England zu nehmen, daß es schon weh tat. Bei jeder anderen Frau würde er meinen, daß Freude, Leidenschaft und Zuneigung ausreichten, um eine Ehe aufrecht zu halten, doch mit tiefer Verzweiflung befürchtete er, daß all dies nicht genug sein würde, Juliet zu halten.
Mit leicht unsicherer Hand streichelte er ihr Haar. Sie mußte im Hammam gewesen sein, denn die leuchtenden Locken fielen weich wie ein Wasserfall aus Seide über ihre Schultern. Bei seiner Berührung flogen ihre Lider flatternd auf, und sie schenkte ihm ein Lächeln unkomplizierter Zärtlichkeit. Dann hob sie eine Hand und ließ ihre Fingerspitzen über seine Gesichtszüge gleiten. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch er durfte das nicht zulassen, denn Worte würden sie vor den Abgrund ihrer Zukunft bringen. In dem verzweifelten Wunsch, dies noch hinauszuzögern, beugte Ross sich vor und küßte sie mit der ganzen Macht seiner Ängste und seiner Sehnsucht.
Sie machte tief in ihrer Kehle ein ersticktes Geräusch und reagierte rasch mit tiefer Intensität, als ob auch sie
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