Wilder als Hass, süsser als Liebe
die Tür öffnete, wußte Bescheid, daß sie erwartet wurde, und er brachte sie augenblicklich in einen elegant ausgestatteten Raum, wo Saleh und Murad einen spätmorgendlichen, mit Kardamom gewürzten Tee genossen.
Die drei tauschten so begeistert Grüße aus, als wären sie monatelang voneinander getrennt gewesen und nicht nur vierundzwanzig Stunden. Saleh war über das erste Wiedersehen mit seinem Bruder seit über dreißig Jahren in Hochstimmung, bekundete jedoch durch besorgt gerunzelte Stirn sein Mitgefühl für den Tod von lan Cameron und die schreckliche Audienz beim Emir. Dann wiederholte er, was sein Bruder ihm über die gefährliche Unberechenbarkeit des Emirs und die giftige Atmosphäre von Mißtrauen und Verrat erzählt hatte, die der Herrscher absichtlich schürte. Es war gut gewesen, daß Juliet und ROSS am Abend zuvor so umsichtig gewesen waren, denn in Abdul Samut Khans Haushalt gab es ganz bestimmt Spitzel, die möglicherweise verschiedenen Herren dienten.
Es war eine ernüchternde Unterhaltung, und als Juliet sich schließlich auf den Rückweg machte, hatte sie viel von der anfänglichen Begeisterung, eine neue exotische Stadt zu erforschen, verloren. Je mehr sie über Buchara erfuhr, desto mehr begriff sie, wie gefährlich ihre Situation tatsächlich war.
ROSS hatte das von Anfang an gewußt, und er hatte genug Mut besessen, trotzdem zu kommen. Er hatte immer schon eine Engelsgeduld und eine Ausgeglichenheit gehabt, die Juliet fehlte.
Und nun war sie entschlossen, ihr Bestes zu geben, um es ihm nachzumachen.
Kapitel 18
DIE ANSTRENGENDEN TAGE, die folgten, strapazierten Juliets Entschluß aufs -äußerste. Sie war frei, konnte kommen und gehen, wann es ihr paßte; ROSS’ Stellung in dem Haus aber war, wie sie es vermutet hatten, irgend etwas zwischen Gast und Gefangenen. Obwohl man ihm erlaubte, sich in der Stadt umzusehen, war er stets von drei bewaffneten Kämmerern begleitet, natürlich angeblich zu seinem eigenen Schutz.
ROSS durfte Besuch empfangen, und so lief ein steter Strom von Menschen durch das Haus des Nawabs. Einige Leute hatte er acht Jahre zuvor kennengelernt, und nun wollten sie ihre Bekanntschaft auffrischen. Darunter waren moslemische Mullahs, jüdische Färber und hinduistische Finanziers, und alle genossen ganz offensichtlich das Gespräch mit dem Ferengi. Ein- oder zweimal kamen auch islamische Fanatiker, die versuchten, ROSS zu unbedachten Bemerkungen hinzureißen, aber er war geschickt genug, ihre Fallen zu durchschauen.
Andere Besucher waren Gesandte des Emirs, die endlose Fragen über europäische Technologie und Landwirtschaft (»Es gibt keine Kamele in England?« fragte einer baß erstaunt), Medizin, Kunst, Handel und Geschichte stellten und wissen wollten, ob Königin Victoria jeden exekutieren konnte, den sie wollte. Einmal demonstrierte ROSS sogar, wie man einen Spiegel mit einer Silberschicht herstellte und sandte das Ergebnis zu Nasrullah; der Nawab berichtete, der Emir habe das Geschenk mit großem Vergnügen angenommen.
Obwohl Juliet die meiste Zeit damit verbrachte, Buchara zu erforschen, setzte sie sich gelegentlich schweigend in eine Ecke des Hauptempfangszimmers im Haus des Nawabs und lauschte bei dem, was ROSS ironisch seine »Salons« nannte. Sie war fasziniert über die umfassende Breite seines Wissens, denn er war niemals um eine Erklärung verlegen. Eines Tages, als sie schon drei Wochen in Buchara weilten, fand sie überraschend eine Delegation des Emirs vor, die alles über Hexerei in England wissen wollten.
Ohne mit der Wimper zu zucken, erwähnte ROSS die Gesetzeslage, erging sich in Erzählungen über Druiden und mittelalterliche Prozesse mit Folter, bis er schließlich auf die Entwicklung des angelsächsischen Rechts kam. Er war noch immer mittendrin in seinen Darlegungen, als Abdul Samut Khan auftauchte und ROSS
freundlicherweise zum Essen entführte.
Da ROSS sehr gefragt war, nahm Juliet die meisten Mahlzeiten mit den Sklaven des Haushalts zusammen ein, die sie wie ein Möbelstück behandelten, um das man herumgehen muß, sonst aber nicht weiter zur Kenntnis nimmt. Da sie keine Lust hatte, an diesem besonderen Abend in die leeren Räume zurückzukehren, blieb sie nach dem Essen bei den Dienern. Einer der Stallburschen erzählte Geschichten, was eine traditionelle und höchst amüsante Art der asiatischen Unterhaltung war.
Als die Geschichten aber schließlich durch allgemeine Unterhaltung ersetzt wurden, zog sie sich wieder in ihre
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