Wilder als Hass, süsser als Liebe
Als ROSS sich instinktiv krümmte, um sich abrollen zu können, sobald er auf dem harten Felsgrund aufschlug, brüllte Murad etwas und zügelte sein Pferd in einem kurzen Moment des Zögerns, ob er seinem Arbeitgeber zur Hilfe eilen sollte. Doch sein Überlebenswille siegte, und er gab dem Pferd die Sporen, um die Flucht zu ergreifen. ROSS schlug hart auf, dann hüllte gnädige Dunkelheit ihn ein.
Doch nur einen Augenblick später kam sein Bewußtsein zurück.
Er lag, nach Atem ringend, auf dem Rücken und spürte einen heftigen Schmerz in seiner linken Seite, die das meiste des Sturzes abgefangen hatte. Die Vibration der donnernden Hufe ließ den Boden erzittern, und er hob den Kopf, um sechs Pferde aus der entsetzlichen Froschperspektive auf ihn zustieben zu sehen.
Sein Hut war ihm vom Kopf gerollt. Beim Anblick des goldblonden Haares ertönte ein Schrei: »Ferengi!«
Im allerletzten Moment, bevor sie ihn zertrampelten, wurden die Pferde herumgerissen. Ihre tanzenden Hufe wirbelten Staub und Steine auf, als die Reiter die liegende Gestalt einkreisten. ROSS
betrachtete die großen, schwarzen Schaffellhüte, die den Turkmenen einen militärischen Anstrich verliehen, der an die Husaren erinnerte. Sie trugen mongolisches Blut in ihren Adern, und die dunklen Schlitzaugen, die auf den Gefangenen hinabstarrten, zeigten die verschiedensten Regungen von Neugier über Gier bis zu unverhüllter, schlichter Bösartigkeit.
ROSS zwang den Nebel in seinem Hirn beiseite. Er mußte nachdenken, denn die Männer waren alle jung, und er-fahrungsgemäß war jungen Menschen das Leben weniger wert als alten. Sie konnten ihn im Affekt töten, ohne weiter darüber nachzudenken. Sein Gewehr hing noch an seinem Pferd, welches zwanzig Fuß entfernt auf der Erde lag. : Die rechte Vorderhand stand in unnatürlichem Winkel ab. Das Packpferd hatte sich wieder auf die Füße gekämpft und wirkte unverletzt. In wenigen Augenblicken würden die Turkmenen beginnen, das Gepäck zu plündern, doch noch war er das Zentrum ihrer Aufmerksamkeit.
Als ROSS sich aufstützte, knurrte einer der Turkmenen
»Russenschwein!« und schlug mit seiner Reitpeitsche zu.
Instinktiv hob ROSS den Arm, um sein Gesicht vor der Peitsche zu schützen. Doch der heftige Schlag schleuderte ihn zurück und drang schmerzhaft durch seinen Mantel. Als das Pferd seines Angreifers zurücktänzelte, sprang ROSS rasch auf die Füße.
Glücklicherweise war das Turkmenische ähnlich wie Usbekisch, so daß er verstehen und antworten konnte.
»Nicht Russe … Engländer!« krächzte er durch den Staub in seiner Kehle.
Der mit der Peitsche spuckte aus. »Bah! Engländer sind genauso schlimm!«
»Schlimmer, Du Assa!« hob ein anderer an. »Los, töten wir diesen Ferengi-Spion und schicken wir den britischen Generälen in Kabul seine Ohren.«
Ein dritter meldete sich zu Wort: »Warum töten, wenn wir ihn in Buchara für eine hübsche Summe verkaufen können?«
DU Assa knurrte: »Geld ist schnell ausgegeben. Aber einen Ungläubigen zu töten, sichert uns einen Platz im Paradies.«
»Aber wir sind viele«, warf ein anderer ein. »Kommen wir alle ins Paradies, nur weil wir einen einzigen untreuen Spion töten?«
Bevor die Männer sich in ihre theologische Diskussion vertiefen konnten, warf ROSS ein: »Ich bin kein Spion. Ich will nach Buchara, um etwas über meinen Bruder herauszufinden. Ich trage einen Brief des Scheichs Islam bei mir, der allen Gläubigen befiehlt, mich in meinem Auftrag zu unterstützen.«
»Scheich Islam bedeutet uns nichts«, stieß Dil Assa verächtlich hervor. »Wir kümmern uns nur um den Segen unseres Kalifen.«
ROSS hatte geahnt, daß Scheich Islam nur ein Glückstreffer gewesen wäre. Er war nun bereit, direkt an die Habgier der Männer zu appellieren. »Bei den Ferengis bin ich ein hoher Herr.
Wenn ihr mir helft, werdet ihr reich belohnt.«
»Du bist ein englischer Hund, und wie ein Hund sollst du sterben!« Dil Assa nahm sein altes Luntenschloßge-wehr und richtete die Mündung auf ROSS. Im gleichen Moment begannen seine Kameraden, auf ihn einzureden, doch es war zu schnell, als daß ROSS etwas verstehen konnte. Einige schienen einverstanden zu sein, sein Leben gegen eine mögliche Belohnung zu verschonen, andere rangen offenbar um das Vorrecht, den Ungläubigen zu töten. Ohne sich um die Meinung seiner Leute zu kümmern, zog Dil Assa den Hahn zurück und zielte mit schwarzem, tödlichem Blick auf ROSS.
Die Öffnung am Ende des Laufes drohte
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