Wilder als Hass, süsser als Liebe
beabsichtige, den Abend, bevor wir abziehen, ein kleines Fest für ein paar Freunde zu veranstalten. Es wird in meinen Gärten stattfinden, wir werden Musik und Tänzer haben - persische Tänzer, denn die sind viel besser als turkmenische. Ihr werdet sicher viel Spaß haben. In den Krieg zu ziehen, bedeutet, den Tod in Kauf zu nehmen, daher wollen wir das Leben feiern. Wie der große persische Poet Omar Khayyam sagte: >Mach das Beste aus dem, was wir noch haben mögen, bevor auch wir in den Staub zurücksteigen.< Ist es nicht so?«
ROSS lächelte, als er den gleichen Vers hörte, den er für Juliet zitiert hatte. In dieser Hinsicht stimmte er mit seinem Gastgeber voll und ganz überein.
Als ROSS von dem Essen mit Abdul Samut Khan zurückkehrte, wartete Juliet, bis er den Riegel vor die Tür geschoben hatte, dann zog sie den Schleier ab und kam zu ihm.
»Es war ein erfolgreicher Tag«, murmelte sie, während sie ihre Arme um seine breite Brust schlang. »Ich hatte überhaupt keine Probleme, aus der Stadt herauszukommen, und unsere Waffen und Munition waren immer noch dort, wo wir sie gelassen haben. Nun ist alles auf dem Anwesen der Kasems versteckt und wartet nur noch auf uns. In zwei Tagen werden Saleh und Reza nach Persien abreisen, und drei Tage später sind wir auf dem Nachhause^
weg.«
ROSS gab keine Antwort, sondern hielt sie nur fest und vergrub sein Gesicht in ihren Haaren. Juliet zog die Brauen zusammen.
»Ist etwas passiert?«
»Ich fürchte ja.« Er ließ sie los und zog seinen Rock aus. »Und ich weiß - ehrlich gesagt - nicht, ob es gute oder schlechte Neuigkeiten sind.«
Neugierig, aber nicht alarmiert folgte Juliet ROSS ins Schlafzimmer. Sie nahm ihren Kamm und ließ sich auf ein dickes Seidenkissen fallen. »Erzähl mir, was los ist.«
ROSS löste seine Krawatte und rieb sich dann müde den Nacken mit einer Hand. »Heute kam Ephraim ben Abraham mit zwei Freunden zu Besuch. Sie berichteten mir, daß nicht ein, sondern zwei Europäer im Schwarzen Brunnen eingekerkert waren. Einer war lan, der andere ein russischer Offizier, und einer von beiden wurde exekutiert, während der andere verschont wurde.« Er holte tief Atem. »Das Üble daran ist, daß sie nicht wissen, wen welches Los ereilt hat.«
Juliet hielt mitten in ihrer Bewegung inne, und alles Blut wich aus ihrem Gesicht. »Das heißt, lan ist vielleicht am Leben, aber wir können nicht sicher sein.«
Juliet hatte ihren Bruder seit Wochen betrauert; nun zu erfahren, daß er möglicherweise noch lebte, war ein genauso großer Schock wie die Nachricht von seinem Tod. Tatsächlich war er durch die Ungewißheit sogar noch schlimmer. »Ich habe immer gedacht, daß es nicht zu lan paßte, sich vor seinem Tod zu bekreuzigen. Es würde jemandem ähnlicher sehen, der Mitglied der orthodoxen Kirche ist.«
ROSS’ Blick war mitfühlend, aber er wollte keine falschen Hoffnungen schüren. »Möglich, aber in letzter Zeit hatte der Emir zu Rußland bessere Beziehungen als zu England. Es ist deshalb wahrscheinlicher, daß er einen Briten hingerichtet hat.«
»Warum sollte der Emir außerdem behaupten, er habe lan exekutieren lassen, wenn das nicht der Fall wäre?«
ROSS schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung. Es könnte eine Taktik sein, aber auch reine Kaltblütigkeit. Vielleicht dachte Nasrullah, er könnte andere potentielle Spione abschrecken, wenn er behauptet, er habe einen töten lassen, entschied dann aber, daß ein Brite ihm vielleicht eines Tages noch nützen könnte. Wer weiß, vielleicht finden wir es nie heraus.«
Juliet schloß eine Sekunde die Augen. »Was sollen wir jetzt tun?«
ROSS verzog die Lippen und begann, auf und ab zu laufen. Zehn Schritte hin, zehn zurück. Er wirkte wie ein Löwe im Käfig. »Ich bezweifle, daß wir überhaupt etwas tun können.«
»Wir müssen aber versuchen, ihn zu retten«, beharrte Juliet. Sie konnte doch nicht ihren Bruder im Stich lassen, wenn er am Leben war. Genausowenig wie sie ihren Mann verlassen würde.
ROSS’ Blick war voller Sarkasmus. »Mit anderen Worten, wir verschwinden aus diesem Haus hier, brechen in ein schwerbewachtes Gefängnis ein, schnappen uns einen Mann, der wahrscheinlich in einem furchtbaren Zustand ist, schmuggeln ihn aus der Stadt und bringen ihn in der schlimmsten Jahreszeit sicher durch die Karakum. Und vielleicht ist es nicht einmal lan.«
»Wir sind ursprünglich gekommen, um ihn zu retten«, erwiderte sie stur. »Mit dem Wissen, daß er möglicherweise lebt,
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