Wilder als Hass, süsser als Liebe
doch hoffentlich, daß unsere Chancen, Persien lebend zu erreichen, beträchtlich sinken? Bis jetzt dachte ich, das Schlimmste würde werden, die Karakum zu durchqueren. Wenn wir allerdings einen Feren-gi-Gefangenen dabei haben, brauchen wir unverschämtes Glück, wenn wir überhaupt aus der Stadt rauskommen.«
Juliet zuckte schicksalsergeben die Schultern. »Vielleicht haben unsere moslemischen Freunde ja recht, und es steht schon geschrieben, was geschehen wird. Vielleicht haben sie auch unrecht, aber in jedem Fall bringt es uns nicht viel ein, darüber nachzudenken.« Sie erhob sich und kam zu ihm, um das Aufknöpfen zu übernehmen. »Euer treuer Diener ist derjenige, der Euch die Kleidung ausziehen sollte, o Meister«, murmelte sie, als ihre Finger über die warme Haut unter dem Stoff glitten.
Er schenkte ihr ein genüßliches Lächeln, hielt ihre Hand einen Moment fest und preßte sie an sein Herz. »Du magst ja meistens kein gehorsamer Diener sein, aber ich mag es, wenn du so tust als ob.«
Juliet spürte eine Welle der Zärtlichkeit, die so intensiv war, daß ihr die Worte fehlten. Also beugte sie sich vor und küßte seinen Hals, um das Gefühl des Pulses unter ihren Lippen zu genießen.
Bald würde sie ihn verlieren, entweder an den Tod oder an England, aber sie hatte sich selbst das Versprechen gegeben, daß sie, bevor dies geschehen würde, genug Mut gesammelt hatte, um ihm zu sagen, wie sehr sie ihn liebte.
Sie bekamen mit unerwarteter Leichtigkeit Informationen über das Gefängnis. Am nächsten Tag besuchte Juliet Saleh und Murad schon früh. Der Junge, Reza, war zum Spielen mit Salehs Neffen unterwegs, also konnte sie frei sprechen. Ohne die Quelle zu erwähnen, beschrieb sie, was ROSS erfahren hatte.
Saleh runzelte die Stirn, als sie geendet hatte. »Es wird nicht einfach sein, aber es ist von Vorteil, daß die Armee gerade die Stadt verläßt. Bei so vielen Soldaten, die abziehen, wird im Palast und im Gefängnis ein großes Durcheinander herrschen, vielleicht wird sogar die Anzahl der Wachen eingeschränkt. Ihr könntet etwas schaffen, was ansonsten kaum möglich wäre, aber ihr müßt auf jeden Fall mehr über das Gefängnis in Erfahrung bringen.«
»Ich habe gehofft, daß dein Bruder vielleicht jemanden kennen würde, der dort arbeitet…«
Bevor Saleh antworten konnte, unterbrach Murad ihn: »Wir brauchen nicht mehr zu suchen. Ich kenne genau die richtige Person.«
Unter den erstaunten Blicken der beiden anderen grinste Murad breit. »Seine Name ist Hafiz, und sein Vater unterhält ein Seidengeschaft eine Straße weiter. Wir haben uns m einem Teehaus getroffen und uns angefreundet. Hafiz arbeitet tagsüber bei seinem Vater, abends im Kerker, ob-1 wohl es ihm dort nicht besonders gefällt. Aber er möchte genug Geld verdienen, um ein eigenes Teehaus zu eröffnen.«
Saleh strich sich über den Bart. »Es muß Gottes Gnade gewesen sein, die euch zusammengeführt hat.«
Juliet lehnte sich aufgeregt vor. »Wenn Hafiz uns hilft, könnte er sein Teehaus schon früher bekommen. Kann man ihm trauen, daß er uns nicht an den Emir verrät?«
Murad überlegte eine Weile. Er war in den letzten Wochen gereift, und obwohl er immer noch sein einnehmendes, jungenhaftes Grinsen hatte, war er nun nachdenklicher geworden und bemühte sich, erst zu denken, bevor er den Mund aufmachte. Juliet nahm an, er wollte ROSS ähneln.
Schließlich antwortete der junge Mann. »Ja, ich glaube, daß er ein ehrlicher Mensch ist, und ich weiß, daß er gerne mehr Geld verdienen möchte.«
Saleh nickte billigend. »Eine fruchtbare Kombination.«
»Kann ich jetzt mit Hafiz reden?« fragte Juliet atemlos.
»Er müßte im Laden seines Vaters sein.« Murad warf Juliet einen Blick zu. »Möchtest du vielleicht bei Hafiz’ Vater Seide kaufen, Lady Kilburn? Ich denke, das wäre ein guter Anfang.«
Also gingen sie gemeinsam Seide kaufen.
Es war schon fast Sperrstunde, als Juliet am Abend zurückkehrte.
ROSS hatte sich bereits Sorgen über ihre lange Abwesenheit gemacht. Doch dann, als sie in das Zimmer gerauscht kam und den Schleier abzog, glühte ihr Gesicht. »Kennst du den arabischen Ausdruck baraka? Es bedeutet die Gnade oder die Macht Gottes.«
»Ich kann es mir in etwa denken.« ROSS gab ihr einen Willkommenskuß und drückte sie in seiner Erleichterung an sich.
Juliet ließ ein weiches Paket, das mit billiger Baumwolle umwickelt war, auf den Diwan fallen. »Nun, die baraka ist mit uns.«
»Heißt das, du hast
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