Wilder als Hass, süsser als Liebe
dachte, du würdest lieber auf westliche Art essen, und der Tisch hier in meinem Arbeitszimmer ist da, für am besten geeignet.«
»Es wird mir eine angenehme Abwechslung sein, vorausgesetzt, daß ich in den letzten drei Monaten nicht vergessen habe, wie man eine Gabel benutzt.«
Sie schenkte ihm ein kleines Lächeln, als ein Mann und zwei Jungen eintaten, die Tabletts mit Essen hereintrugen. »Hast du noch irgendwelche Wünsche, Gul-i Saha-ri?« fragte der Diener.
»Nein, Ruhollah. Du kannst dich zur Ruhe begeben. Wir bedienen uns selbst.«
Die drei verbeugten sich und gingen. »Ich dachte, es ist besser, wenn wir nicht unterbrochen werden«, erklärte Juliet.
»Du hast recht. Übrigens habe ich erst jetzt erkannt, was dein Name bedeutet. Ich habe es bis jetzt für ein Tua-reg-Wort gehalten, das ich nicht verstanden habe, aber es ist wohl der persische Ausdruck gul-i sara-i, Blume der Wüste, nicht wahr?«
»Es liegt an meiner Haarfarbe«, bestätigte Juliet. »Das erste Mal, als ich Saleh traf, nannte er mich Wüstenblume. Der Name ist hängengeblieben.«
»Warum hast du eigentlich heute nachmittag lieber Französisch als Tamahak gesprochen?« fragte er neugierig. »Ich dachte, du hättest die Tuareg-Sprache gelernt, als du noch in Tripolis gelebt hast.«
»Habe ich auch, aber du hast das Tamahak so gut gesprochen, daß ich befürchtete, du würdest meine Fehler sofort bemerken. Ich habe diese Sprache seit Jahren nicht mehr gesprochen, deswegen hielt ich Französisch für sicherer.« Sie hob eine Flasche an.
»Möchtest du etwas
Wein?«
ROSS staunte. »Der dürfte in diesem Teil der Welt schwer zu bekommen sein.«
»Ja, stimmt, aber ich habe immer gerne etwas Wein oder Brandy für Gäste da, wenn sie es möchten.« Sie entkorkte die Flasche, schenkte Rotwein in zwei Gläser und reichte ihm eins, ohne seine Finger zu berühren. »Da bei den Moslems Alkohol verboten ist, haben wir hier keine Probleme mit Dienern, die den Weinkeller leertrinken, wie es in England so oft vorkommt.«
Die nächsten Minuten war sie damit beschäftigt, Suppe in zwei Schüsseln zu füllen und Platten mit Brot und anderen Gerichten auf dem Tisch zu arrangieren.
ROSS sah ihr schweigend zu, während er gelegentlich an seinem Wein nippte. Er konnte sich noch sehr gut an ihr blaues Seidenkleid erinnern, und nun sah sie sogar noch besser darin aus, da ihr geschmeidiger Körper ein paar Rundungen bekommen hatte. Tatsächlich wirkte sie so provozierend auf ihn, daß er sich fragte, ob sie sich extra so gekleidet hatte, um ihn zu reizen oder zu verführen. Und wenn eines davon zutreffen würde, so wußte er nicht, was er schlechter ertragen konnte.
Sie warf einen Blick zu ihm, und verwirrt erkannte er in den klaren Tiefen ihrer Augen eine kurze Unsicherheit aufflackern.
Mit siebzehn hatte Juliet nicht gewußt, welche intensive, verführerische Wirkung sie besaß, und ROSS stellte überrascht fest, daß sie immer noch die gleiche Unschuld zu sein schien.
Was nicht stimmen konnte, wenn man den Graben an gebrochenen Männerherzen quer durch das mediterrane Europa in Betracht zog, den sie geschlagen hatte, bevor sie in Kleinasien verschwunden war. Die Gerüchte über ihr Benehmen waren so schmuddelig gewesen, daß er sie nicht geglaubt hätte, wenn er nicht einen unwiderlegbaren Beweis gehabt hätte. Nichtsdestoweniger sprach er ihre Absicht von jedem Versuch, ihn heute abend zu verführen, frei. Wenn das ihr Ziel gewesen wäre, dann hätte sie sich mehr Mühe gegeben. Statt dessen schien ihre Unsicherheit genauso groß wie seine zu sein.
Ohne etwas von seinen Gedanken zu ahnen, sagte sie nun:
»Übrigens, deine beiden Diener sind hier. Sie haben in den Männerquartieren Platz gefunden.«
»Gut, das zu hören.« Darauf getrimmt, in jeder Situation höflich zu sein, zog er ihren Stuhl vom Tisch zurück. Nach einem kurzen Zögern setzte sich Juliet. Ihr seidiges Haar streifte dabei seinen Handrücken, und ROSS zuckte zurück, als hätte er sich verbrannt.
Um seine Fassung
wiederzugewinnen, erkundigte er sich: »Wie lange lebst du schon hier?«
»Über neun Jahre. Nachdem ich…« - sie zögerte, entschloß sich dann, einen neutralen Ausdruck zu verwenden - »England verlassen hatte, bin ich zunächst durch die Mittelmeerländer gereist, dann ins Osmanische Reich. Wie du ja weißt, habe ich als Kind in Teheran gelebt, während mein Vater dort stationiert war.
Ich wollte Persien wiedersehen, und so habe ich einige Zeit damit
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