Wilder als Hass, süsser als Liebe
jeder.«
»Das hört sich an, als hättest du dir hier ein einmaliges Nest für dich allein aufgebaut.« ROSS hielt einen Moment inne, dann fügte er mit weicher Stimme hinzu: »Bist du glücklich geworden, Juliet?«
Ihre Miene verschloß sich, und sie starrte auf ihren Teller hinunter. »Ich bin zufrieden. Es ist wichtig, etwas Sinnvolles zu tun.« Dann, mit dem deutlichen Versuch, das Thema zu wechseln, fragte sie: »Wie geht es Sara?«
»Bestens. Sie erwartet im Frühsommer ein Kind.«
»Hat sie noch andere Kinder? Von der Zeit her könnte sie inzwischen gut zehn haben.«
»Nicht, wenn man bedenkt, daß sie weniger als zwei Jahre verheiratet ist«, antwortete ROSS. »Es ist ihr er-f stes.«
»Hat sie denn nicht diesen Mann geheiratet, den sie kurz nach ihrem Debüt so attraktiv fand?« fragte Juliet überrascht. »Sie haben auf mich wirklich den Eindruck gemacht, als wären sie schon auf dem Weg zum Altar. Ich weiß seinen Namen nicht mehr, aber er war irgendein Vis-count und sein Vater war Minister im Kabinett.«
ROSS hatte den Namen nicht vergessen, hatte sich aber stets geweigert, ihn auszusprechen. »Nein. Er beschloß, daß er keine Lust hatte, eine Frau zu heiraten, die vielleicht ihr Leben lang verkrüppelt sein würde. Da es keine offizielle Verlobung gegeben hatte, war es leicht für ihn, sich nach Saras Unfall zurückzuziehen.
Nicht gerade ehrenhaft, aber einfach.«
Juliet hatte gerade einen Schluck Wein trinken wollen, doch bei ROSS’ Worten stellte sie den Kelch hart zurück auf die Tischplatte.
»Was für ein Unfall?«
»Hast du nichts davon gehört? Ich habe angenommen, daß dein Anwalt dir mit den Bankauszügen Nachrichten übermittelte.«
»Er hatte die Anweisung, sich auf solche Dinge wie Todesfälle in meinem engsten Familienkreis zu beschränken. Von Sara hat er mir nie etwas erzählt.« Dies war eine freiwillige Entscheidung Juliets gewesen, die nicht durch Heimweh nach ihren Freunden und ihrer Familie ge- ] schwächt werden wollte. Nun stellte sie erschüttert fest, wie sehr sie alle wirklich vermißte.
»Nur wenige Wochen, nachdem du aus England verschwunden warst, hatte Sara einen Reitunfall. Sie wäre fast gestorben.
Zumindest hätte sie nie mehr gehen können, wenn sie nicht so einen hartnäckigen Charakter besäße. Ihr Pferd mußte getötet werden. Eine hübsche graue Stute.« ROSS’ Gesicht verhärtete sich.
»Ich habe oft darüber nachgedacht, ob der Unfall geschah, weil sie durch die Sorge über dich und mich abgelenkt war. Ich weiß, daß sie über alles, was geschehen war, sehr unglücklich war, und es sah Sara noch nie ähnlich, unvorsichtig zu sein, am wenigsten auf einem Pferd.«
Juliet keuchte bei der angedeuteten Anschuldigung auf. Sie wollte protestieren, aber sie konnte es nicht, denn ROSS hatte recht: Es sah Sara nicht ähnlich, unvorsichtig
zu sein.
Juliet schluckte hart. All die Jahre, in denen sie ihre Freundin für glücklich gehalten hatte, war Sara vielleicht verzweifelt gewesen, hatte Schmerzen gelitten und den Verlust des Mannes, den sie liebte, betrauern müssen -m.d einen nicht unbeträchtlichen Teil der Schuld dafür konnte sie, Juliet, sich vermutlich selbst zuschreiben. Jede Handlung verursachte Reaktionen, und Juliet würde niemals alle Konsequenzen ihrer verrückten Flucht aus England erfahren.
Mit gepreßter Stimme fragte sie: »Und wie geht es Sara jetzt?«
ROSS’ Miene wurde wieder weicher. »Es könnte ihr nicht besser gehen. Sie hat einen Freund von mir geheiratet, und die beiden sind reichlich wild aufeinander. Mikhal paßt weit besser zu ihr als dieser aufgeblasene junge Narr, der sie im Stich gelassen hat.«
Also waren die Folgen von Juliets überstürzten Taten vielleicht letztendlich doch nicht so übel. Und mit dem Fatalismus, den sie sich in den langen Jahren im Osten angeeignet hatte, setzte Juliet in Gedanken hinzu, daß sie vielleicht auch nur ein winziges Glied in Saras Schicksalskette gewesen war. Wenigstens war ihre Freundin jetzt glücklich.
Gedankenverloren wie sie war, konnte Juliet nicht schnell genug reagieren, als sie eine vertraute Bewegung im Augenwinkel wahrnahm. Mit einem einzigen anmutigen Satz sprang eine schwarze Katze auf den Tisch. Das Leinentuch rutschte unter dem Gewicht des Eindring lings, so daß die Katze über die Oberfläche glitt, mit beiden Vorderpfoten auf der Lammplatte landete und mindestens so überrascht wie ROSS wirkte.
Peinlich berührt rief Juliet aus: »Scheherazade!« und nahm die
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