Wilder als Hass, süsser als Liebe
Torbogen der Karawanserei, aber im Hof herrschte Stille, und die Feuer glühten nur noch rötlich. Hier und da schnaubte ein Kamel oder hustete ein Mann, doch niemand war noch wach. Sie hatten länger geredet, als ROSS bemerkt hatte.
Vorsichtig schlängelten sie sich durch das Gewirr der Schlafenden.
Als sie an ihrem Verschlag ankamen, stand die Tür halb offen, und das schwache Licht reichte aus, um das Innere zu beleuchten.
Der hintere Teil des kleinen Raumes War mit ihren Vorräten und dem Gepäck zugestellt und ließ gerade genug Platz frei, daß sich vier Personen auf ihren Matten niederlegen konnten. Murad und Saleh lagen
auf der linken Seite nebeneinander, rechts waren die zwei Decken für ROSS und Juliet ausgerollt worden.
Als ROSS das sah, stieß er einen leisen Fluch aus. Warum, zum Teufel, hatte Saleh es nicht so arrangieren können, daß der ältere Mann neben Juliet schlief? Gleichzeitig sahen die beiden sich an.
Es war ihm unmöglich, hinter ihrem Schleier ihre Miene auszumachen, aber er hatte keinen Zweifel, daß sie genauso verärgert war wie er. Die gelöste Stimmung, die zwischen ihnen geherrscht hatte, schwand und wurde durch ein Unbehagen ersetzt, das fast greifbar war.
Nun, sie konnten es im Augenblick nicht ändern, wenn sie nicht unerwünschte Aufmerksamkeit erwecken wollten. Wortlos zog ROSS sein Messer aus dem Beutel und legte es auf seine Matte.
Obwohl es unwahrscheinlich war, daß eine Karawanserei überfallen würde, hatte er es sich vor langer Zeit angewöhnt, seine Waffe in Griffweite zu haben, wenn er sich niederlegte, denn man wußte ja nie. Dann legte er sich in die Mitte und überließ Juliet damit den Platz an der Wand.
Mit fast lautlosen Bewegungen rollte Juliet sich in ihre Decke und rückte so weit wie möglich von ihm ab. Doch auch wenn ROSS ihr den Rücken zuwandte, so war sie sich seiner Nähe doch heftig und fast schmerzhaft bewußt.
Schon die Nacht zuvor, als er wußte, daß sie unter demselben Dach schlief, war es schwer genug gewesen. Sie jetzt nur Zentimeter von sich entfernt zu wissen, war praktisch unerträglich. Jedes Geräusch,’ das sie machte, vom leisen Rascheln ihres Gewandes bis zu der fast unhörbaren Atmung, schrammte an seinem gespannten Nervensystem wie ein schartiges Messer.
Aber ROSS würde es ertragen, weil er mußte. Er war in Pflichterfüllung immer hervorragend gewesen und konnte das Unvermeidliche akzeptieren.
Und so machte er sich daran, mit Techniken, die er in einem buddhistischen Kloster in Indien gelernt hatte, seinen unsteten Geist zu beruhigen. Muskel für Muskel entspannte er sich und verlangsamte gleichzeitig die Atmung. Er zwang sich, sich auf die Luft zu konzentrieren, die in seine Lungen strömte und stieß sie dann langsam wieder aus. Ein - aus. Ein - aus. Den Brustkorb dehnen, wieder zusammensinken lassen. Auch dies würde vorbei-gehen. Neben ihm lag nicht seine nervenaufreibende, schöne, unendlich begehrenswerte Frau, sondern ein junger, unwirscher Targi namens Jalal…
Es wäre leichter gewesen, sich einzureden, daß Fische fliegen können.
Kapitel 9
IN IHRE DECKE gegen die Wand gekuschelt, brauchte Juliet eine lange Zeit, um einzuschlafen. Sie hatte ohnehin immer einen leichten Schlaf und nun, da ROSS nur wenige Zentimeter neben ihr lag, waren ihre Nerven gespannt wie eine Bogensehne. Endlich ergab sich ihr erschöpfter Körper der Müdigkeit, doch sie träumte von überstürzter Flucht und entsetzlichen Verlusten.
Irgendwann in der Nacht jedoch entspannte sie sich. Als sie in den dämmrigen, frühmorgendlichen Schlummer zwischen Wachen und Schlafen glitt, war sie gerade genug bei Bewußtsein, um ihren friedlichen Zustand zu bemerken. Es war so ein schönes, warmes Gefühl, daß es ihr widerstrebte, den Übergang zum richtigen Wachstadium einzugehen.
Obwohl es noch dunkel war, wußte sie, daß es gleich Zeit zum Aufstehen sein würde. Dennoch erlaubte sie sich, ihre halbbewußte Zufriedenheit zu genießen, denn sie wußte, die geringste Bewegung oder das kleinste Geräusch würde sie aus dem goldenen Nebel reißen. Ein sanftes, rhythmisches Pulsieren erfüllte ihren Dämmerzustand, wie das Gefühl eines Herzschlags .
. .
Verfluchte Hölle! Schlagartig war sie hellwach und empfand so einen gründlichen Schock, daß sie sich zusam-menreißen mußte, ihren Körper nicht mit aller Kraft zu-rückzureißen. Sie war eingehüllt in ROSS’ Umarmung! Er lag auf der Seite, hatte seine Arme locker um sie geschlungen, während
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