Wilder als Hass, süsser als Liebe
ihre Kehle zog sich zusammen, und sie brachte kein Wort mehr hervor.
»Komm, gehen wir ein Stück spazieren, bevor wir zurück müssen.« Leicht legte er ihr die Hand auf den Rük-ken und führte sie in die Wüste hinaus.
Als sie nebeneinander her gingen, fragte sie sich, ob ROSS sich überhaupt bewußt war, daß er sie berührte. Wahrscheinlich nicht, denn die Geste hatte die beiläufige Vertrautheit eines alten Freundes, ohne jegliche Erotik darin. Ganz im Gegensatz zum Abend zuvor, als zwischen ihnen die Leidenschaft Funken gesprüht hatte.
Und sie spürte sie jetzt noch, die Leidenschaft. Den ganzen Tag war sie sich der Nähe ihres Mannes fast schmerzhaft bewußt gewesen. Doch sie fühlte, daß er sein Verlangen unterdrückt hatte, und das offenbar so gründlich, als hätte er eine Lampe gelöscht.
Daß er das konnte, überraschte sie nicht. Sie hatte es viel erstaunlicher gefunden, daß er sie zuerst begehrt hatte. Sie hatte es mit siebzehn nicht begreifen können, und nun hatte sie noch mehr Schwierigkeiten damit. Aber weil er der einzige Mann gewesen war, der ihr jemals das Gefühl gegeben hatte, wirklich begehrenswert zu sein, frustrierte seine Zurückweisung sie nun gewaltig.
Gott sei Dank empfanden sie noch Sympathie füreinander, auch wenn diese nur ein schwacher Abklatsch von dem war, was sie früher aneinander gebunden hatte. Und gerade in dieser Nacht, da sie mit dem Bild ihres sterbenden Bruders zu kämpfen hatte, brauchte sie seine Nähe dringend.
Nach einigen Minuten in Schweigen, durch das nur das schwache Knirschen ihrer Schritte und das Flüstern des Windes drang, sagte ROSS schließlich: »Vermißt du Großbritannien eigentlich jemals, Juliet?«
»Manchmal«, gab sie ehrlich zu. »Ich vermisse das Grün. Seltsam, daß die Briten Regen nicht einfach als normal, sondern oft genug als Ärgernis ansehen. Hier ist das Wasser ein Geschenk Gottes.«
Er nickte. »Hier werden Sonne und Hitze als normal und manchmal als Ärgernis betrachtet. In schlechten Sommern in England hält man diese Dinge für ein Geschenk Gottes.«
Sie lächelte ein wenig. »Ja, das ist schon wahr. Offenbar liegt es in der Natur des Menschen, sich immer nach dem zu sehnen, was selten vorkommt.« Dann verfiel sie wieder in Schweigen, weil sie nicht wußte, wieviel sie sagen konnte, ohne mehr einzugestehen, als sie es wollte. »So sehr ich Serevan liebe, werde ich doch in Persien immer eine Fremde bleiben. Ich habe erst wirklich begriffen, wie sehr ich durch europäische Werte geprägt bin, als ich begann, inmitten einer fremden Gesellschaft zu leben. Seltsam genug, aber ich habe weniger Probleme, mit den Männern auszukommen als mit den Frauen.«
»Ich denke, das liegt an deiner Art zu leben. Reiten, Waffentragen, Befehle geben… das ist hier alles den Männern vorbehalten. Du hast niemals das eingeschränkte Leben einer orientalischen Frau kennengelernt, also hast du mit ihnen nicht viel gemein.«
»So habe ich darüber noch nie nachgedacht, aber es scheint genau das zu sein.« Juliet lächelte selbstkritisch. »Zuerst habe ich versucht, etwas zu verändern. Ich wollte die Frauen von Serevan befreien, sie überzeugen, ohne Schleier herumzulaufen und mehr Respekt zu verlangen.« »Von deinem Tonfall schließe ich, daß du wenig Erfolg gehabt hast.«
»Überhaupt keinen.« Sie seufzte. »Die Frauen Serevans waren viel glücklicher mit Schleier, in ihren Frauenhäusern, mit ihrem abgeschlossenen Leben. Schließlich gab ich auf. Sogar Salehs Frau, die intelligent und klug ist, hörte mir zwar zu, zuckte dann allerdings die Schultern und meinte, daß sich das Leben einer Engländerin sehr unbequem anhört.«
»Kultur ist stärker als Ideologie«, bemerkte ROSS, »und die meisten Leute leben besser damit, den Bräuchen zu folgen, mit denen sie aufgewachsen sind. Geborene Rebellen wie du sind selten.«
»So sieht es aus. Aber es tut mir leid, daß ich mit den Frauen hier so wenig gemein habe, denn es begrenzt die Freundschaften. Ich vermisse eine Freundin … und ganz besonders vermisse ich Sara.« Plötzlich hielt Juliet inne, als sie bemerkte, daß sie sich zu sehr dem gefährlichen Gebiet ihrer gemeinsamen Vergangenheit näherte.
Vielleicht fühlte er dasselbe, denn ROSS wechselte das Thema.
»Die Tatsache, daß du die Gesellschaft von Frauen genießen kannst, unterscheidet dich von Lady Hester Stanhope. Sie haßte ihre Geschlechtsgenossen und wäre wahrscheinlich glücklicher gewesen, wenn sie als Mann geboren worden
Weitere Kostenlose Bücher