Wilder Engel (German Edition)
deutlich Bertholds Schnarchen dringen.
Am nächsten Tag, gegen Mittag, trafen wir uns dann mit seinem amerikanischen Kollegen in einem Restaurant schräg gegenüber vom Hotel. Praktischerweise trug der Kollege, außer einem Paar leuchtend blauer Augen, auch ein Namensschildchen – Dr. Adams/New York – am offenen Hemdkragen spazieren.
Berthold stellte uns natürlich trotzdem höflich vor: »Angela, das ist Mark Adams. Mark – meine Freundin.«
Als Mark meine Hand nahm und dabei mit seinem Zeigefinger sanft deren Innenfläche streichelte, waren die Wonnen der vergangenen Nacht plötzlich wieder ganz gegenwärtig.
»Jetzt weiß ich wenigstens deinen Namen«, sprach ich leise zu mir selbst und amüsierte mich klammheimlich ein bisschen, ehe ich laut und vernehmlich sagte: »Ich freue mich, Sie kennen zu lernen.«
Mark grinste frech. »Ich freue mich auch sehr. Wirklich. Wie war noch mal Ihr Name? Angela? Wirklich hübsch.«
»Das ist ja ein Ding!«, murmelte Angie leise im Sugar-Café vor sich hin. Angela Engel hatte es offenbar faustdick hinter den Ohren gehabt. Die »oben« wussten anscheinend wirklich ganz genau, warum sie Angie ausgerechnet auf diese heiße Spur angesetzt hatten.
»Mal sehen, wie alt du damals warst, Schätzchen.«
Angie sprang per Mausklick um zwei Seiten zurück, bis sie den Datumseintrag fand: 10. April ’97.
Demnach musste Angela damals 26 oder 27 gewesensein. Jung genug also, um gewisse Dummheiten zu begehen, aber gleichzeitig auch schon alt genug, um zu wissen, warum !
Angie beschloss, ein wenig weiter in der Zeit zurückzugehen. In einem Eintrag vom Oktober 96 wurde sie fündig.
14. Oktober 96
Habe heute im Café an der Uni zufällig Berthold Aschenbrenner getroffen. Er hat mittlerweile natürlich längst seinen Dr. rer. nat. in der Tasche und nach einigen Jahren als Unidozent auch endlich den ersehnten Arbeitsplatz in der Privatwirtschaft ergattert. Irgendwas im Ölgeschäft, aber auch andere Bodenschätze. Habe nicht völlig verstanden, was er mir alles erzählt hat. Diese Dinge haben mich noch nie sehr interessiert, aber Berthold ist ganz hin und weg vor Begeisterung. Vor allem über sein Gehalt und seine Aufstiegschancen. Auslandsaufenthalte inbegriffen.
Ich habe natürlich so getan, als würde ich mich mit ihm freuen.
Er hat gefragt, was ich denn jetzt so mache und worüber meine Diplomarbeit in Chemie denn ginge. Oder ob ich gar schon längst fertig sei damit.
»Welche Diplomarbeit?«, fragte ich kess zurück.
Zuerst stutzte, aber dann lachte er. »Sag nicht, du hast das Studium abgebrochen, Angela?«
»Nicht offiziell. Mein Vater würde einen Herzinfarkt kriegen.«
»Was machst du dann jetzt so, wenn ich fragen darf?«
Ich sagte es ihm. Er lachte wieder herzlich.
»Aber Mädchen, von der Kunst kann doch keiner leben!« Und dann: »Und was macht die Liebe?«
»Ach«, sagte ich, »nichts Besonderes, im Moment wenigstens. Ich verdiene ein ganz nettes Geld nebenbei als Aktmodell an der Kunstakademie. Damit werde ich erneut eine Weile auf Reisen gehen. Ich war schon in Indien, Thailand und Argentinien. Immer mindestens für ein halbes Jahr. Auf die Weise bekommt man wenigstens von einem Land wirklich was mit. Mal sehen, was mich als nächstes reizt.«
»Aha«, sagte Berthold. »Interessant. Ich glaube, ich beneide dich ein bisschen. Ehrlich. Du bist so mutig.«
»Ach?«
»Ja, schon. Schau mich an, ich gehe brav den Weg, der mir von der Wiege an vorgezeichnet war«
»Wer hat ihn dir denn vorgezeichnet?« Es interessierte mich wirklich!
»Na, mein Elternhaus. Die Gesellschaft«, sagte Berthold stolz und voll ehrlicher Überzeugung. »Zuerst kam das Studium, dann der Doktortitel und die akademische Laufbahn. Jetzt ist die Karriere dran.«
»Und anschließend Heirat, Häusle bauen und Kinderchen machen«, führte ich die Aufzählung munter fort.
Ich glaube, ich klang ein bisschen spöttisch dabei. Aber er lachte bloß erneut.
Dann fragte er unvermittelt, ob ich nächsten Samstag schon was vorhätte. Und falls nein, ob ich dann mit ihm ausgehen möchte. In ein erstklassiges Restaurant.
»Klar«, sagte ich.
14. Oktober, spät in der Nacht
Habe noch mal nachgedacht: Eigentlich ist es eine Schnapsidee, mit Berthold auszugehen. Er wird garantiert versuchen, mich endlich ins Bett zu kriegen. Das wollte er ja damals schon, vor zig Jahren, als ich noch verzweifelt versuchte, meine ersten Scheine in anorganischer Chemie zu machen. Er hat sich bloß nicht getraut,
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