Wilder Engel (German Edition)
Sie tippte anschließend etwas in die elektronische Ladenkasse ein, die daraufhin wie durch Zauberhand aufschwang, legte die Scheinchen fein säuberlich in das passende Fach, schob die Kasse zu und fing an, kopfschüttelnd und mit zusätzlich hochgezogenen Augenbrauen, den Kleiderhaufen auf der Ladentheke zu sortieren.
Allister gab an dieser Stelle seinen Beobachterposten endgültig auf und machte sich auf den Weg ins Sugar-Café. Das allerdings zu dieser Tageszeit geschlossen war. Was er noch nicht wusste, aber das würde er bald lernen. Maggie und Bob lagen längst händchenhaltend irgendwo an einem einsameren Strand, deutlich außerhalb von Los Christianos und Las Americas nämlich, und genossen die Sonne und ihr wohlverdientes Teilzeit-Pensionisten-Dasein.
10
A ngela kaufte auf dem Rückweg zur Pension Julia an einem Kiosk einige Frauenmagazine ein: Cosmopolitan, Marie-Claire, Elle, Madame, Vogue.
In verschiedenen Sprachen, Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch, um so neben ihrem aktiven Einsatz auch theoretisch zu recherchieren, was sich derzeit europaweit tat in Sachen Liebe & Sex, Schönheit & Mode, Lifestyle, Klatsch & Co.
Es gelang ihr, sich unbemerkt in das Apartment Numero 6 zu schleichen, weil Julia Gonzales nämlich am Telefon hing. Sie schien mit ihrer Tochter Maria zu telefonieren, aber Angie hatte momentan weder Zeit noch Lust, ein bisschen zu lauschen, sie hatte genug anderes um die Ohren.
»Fuck!«, sagte Angie laut zu ihrem Spiegelbild. Was ungerecht war, sah es doch – das Spiegelbild nämlich – allerliebst aus!
Die neue schwarze Seidenbluse harmonierte wunderbar mit den blonden Locken und dem leicht gebräunten Teint. Die rote Jeans saß knackig und machte eine fabelhafte Figur.
Und trotzdem schnitt Angie in diesem Moment dem eigenen Spiegelbild ein böses Gesicht. »Fuck!«, wiederholte sie dabei. Laut und deutlich. Ein Lauscher vor der Apartmenttür hätte es gehört.
Anschließend stand sie ein Weilchen nur so im Badezimmer da und wusste nicht so recht, wie es jetzt weitergehen sollte. Ihr ganzer Elan schien im Moment wie verpufft zu sein.
Irgendwie ärgerte sie sich maßlos darüber, dass Allister sie vorhin nicht weiter gejagt hatte. Gab der einfach auf …
Er hätte sich immerhin mehr Mühe geben können, nicht wahr? Wenn ihm wirklich etwas an einem Wiedersehen lag. Natürlich hätte sie selbst auch etwas dazu tun können, anstatt einfach feige zu verschwinden. Oder sich gar wegzubeamen und dafür auch noch eine von oben auf den Deckel zu kriegen.
Was war eigentlich los mit ihr? Sie war doch noch voller Selbstbewusstsein und Elan von ihrer Wolke geplumpst letzte Nacht – oder besser gesagt: im Morgengrauen. Hatte aus dieser Aufbruchstimmung heraus sogar den knackigen Schotten kurzerhand vernascht und sich dabei ganz als Herrin der Lage gefühlt.
Und jetzt?
Irgendetwas musste passiert sein mit ihr, aber sie wusste nicht was. Blöde Situation, irgendwie.
Sie fühlte sich wie ein vollkommen zerknülltes und obendrein auch noch feuchtes Papiertaschentuch, um es mal drastisch darzustellen.
Aber ja, genau SO fühlte sie sich.
Irgendetwas zerrte an ihren Nerven, sie war unruhig, grundlos gereizt, getrieben, innerlich zerrissen, einfach »grantig«, wie man in Bayern und damit auch in München so schön zu sagen pflegte.
Eine höchst irritierende Gefühlslage.
Wo kam die her, zum Kuckuck? Niemand hatte sie eingeladen, niemand wollte sie, wieso war sie dann da?
In diesem Augenblick summte nebenan im Wohn-Schlafzimmer der Laptop.
Was wollten die denn jetzt schon wieder!
Es war ihr klar, dass mal wieder Ärger in der Luft lag, wegen der Sache vorhin in der Boutique. Trotzdem war Angie fast erleichtert, die Störung kam im Grunde zum absolut richtigen Zeitpunkt. Diese Grübelei im Badezimmer führte doch zu nichts.
Dunkel erinnerte sie sich noch daran, in einem früheren Leben auch manchmal dazu geneigt zu haben. Gebracht hatte es nie etwas. Außer dunklen Augenschatten, fahler Haut und Pickeln zu Unzeiten. Eventuell noch Fressattacken obendrauf, und die brauchte erst recht niemand.
Abgesandte Angie!
Ladendiebstahl ist selbst auf Gefahrenstufe EXTREM kein erlaubtes Mittel.
Situation war obendrein und wieder einmal weder als EXTREM noch auch nur als annähernd GEFÄHRLICH einzustufen.
Somit bestand auch keinerlei Grund für die ergriffene unerlaubte Maßnahme.
Hiermit erfolgt eine zweite Abmahnung!
Bei der dritten werden erheblich drastischere
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