Wilder Eukalyptus
entkommen, ging Gemma hinüber ins Zimmer und nahm den Hörer ab. »Hallo?«
»Hallo, Gemma, hier ist Ben Daylee. Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt.«
»Keine Angst, um diese Uhrzeit bin ich schon längst auf. Ich habe Ihre Nachricht gestern abgehört, aber da war es schon sehr spät. Tut mir leid.« Gemma staunte darüber, wie normal ihre Stimme klang, angesichts ihrer momentanen Verfassung.
»Schon okay. Wie läuft es denn bei Ihnen da draußen?«
Ohne Vorwarnung bildete sich in Gemmas Kehle plötzlich ein Kloß. »Ah …« Sie brachte keinen weiteren Ton heraus.
»Gemma, ist alles in Ordnung?«
Wieder spürte sie die Tränen hochsteigen, aber sie kämpfte dagegen an und holte dann tief Luft. »Äh, nein, eigentlich nicht. Ich habe gestern ein paar schlimme Dinge erfahren und stehe immer noch leicht unter Schock.«
»Ich hoffe doch, dass es nicht Ihren Vater betrifft.«
»Nein, nein, Dad geht es gut. Nein, es betrifft meinen
verstorbenen Mann. Es sieht nämlich ganz so aus, als wäre er in krumme Geschäfte verwickelt gewesen, von denen ich bisher nichts geahnt habe.« So. Nun war es raus. Es war gut möglich, dass sie auf die Hilfe von Ned und Ben angewiesen sein würde. Daher bestand kein Grund, den beiden die Sache zu verheimlichen.
»Ich verstehe«, sagte Ben.
»Sie klingen nicht besonders überrascht.«
»Um die Wahrheit zu sagen, ich bin es auch nicht. Mir sind nämlich ein paar Gerüchte zu Ohren gekommen, aber ich konnte nicht einschätzen, ob an ihnen was dran ist.«
»Sie wissen ja: Die Ehefrau erfährt es immer als Letzte. Sind Sie und Ned heute zufällig in unserer Gegend? Ich würde nämlich gerne ein paar Dinge mit Ihnen bereden.«
»Ich weiß nicht genau, was Ned heute geplant hat, aber wenn Sie mit ihm sprechen wollen, kommt er bestimmt raus. Schließlich liegen Sie ihm sehr am Herzen.«
Gemma lächelte. »Ned ist mir eine große Stütze seit Adams Tod. Ich brauche dringend seinen Rat.«
»Ich sehe, was ich machen kann.«
Nachdem Gemma geduscht hatte, gesellte sie sich mit müdem Gesicht, aber dennoch erfrischt zu den beiden anderen in die Küche. Jess stand auf, um sie kurz zu umarmen, und goss ihr einen Kaffee ein.
»Danke … Ich habe nachgedacht«, begann Gemma in sanftem Ton. »Wenn das hier wirklich so eine große Sache ist, wie ihr beide denkt, und wenn Adam daran beteiligt war, dann müssen wir aufpassen, was wir zu wem sagen. Das war eben Ben am Telefon …«
»Welcher Ben?«, unterbrach Patrick sie.
»Ben arbeitet seit Kurzem für Ned. Ich habe ihn gebeten, heute mit Ned vorbeizukommen, damit wir sie einweihen können. Ned hat mir vor ein paar Wochen geholfen, den gesamten Viehbestand von Billbinya zu zählen, weil Adams Zahlen nicht mit denen im Computer übereinstimmten und auch nicht mit dem Ergebnis von Bulla und Gary. Ich möchte Ned gerne fragen, ob ihm beim Zählen irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen ist. Ich erkenne unsere Tiere nur an den Ohrmarken, aber die Männer können fremdes Vieh schon von Weitem unterscheiden.«
»Das ist eine gute Idee, Gemma«, sagte Jess. »Vielleicht sollten wir ihnen auch von der fremden Lammherde auf deiner Koppel erzählen. Viehagenten kommen schließlich viel in der Gegend herum und kriegen allerlei mit. Diese Männer sind wandelnde Enzyklopädien und kennen sämtliche Farmen im Distrikt in- und auswendig.«
»Jess, ich habe mir überlegt, du könntest dir mal die Geschäftsbücher vornehmen. Vielleicht fällt dir ja etwas auf. Ich als Laie kann mit den Zahlen wenig anfangen. Außerdem muss ich mich um wichtigere Dinge kümmern. Nächste Woche beginnt die Schur.«
»Ja, sicher, Gem. Du weißt, das mache ich gerne für dich.«
»Pat, ich möchte, dass Mum und Dad vorerst nichts erfahren. Sie machen sich sonst nur unnötig Sorgen. Okay?« Gemma blickte ihren Bruder fragend an.
»Kein Problem, Schwesterherz.«
»Ich denke, wir sollten auch den Detective informieren, aber zuerst möchte ich mit Ned sprechen.« Plötzlich zuckten alle drei zusammen, weil es klopfte.
»Morgen, Jack«, sagte Gemma, nachdem sie die Tür geöffnet hatte, und schenkte ihm ein Lächeln. »Wie geht es dir? Die Männer haben gesagt, du wärst krank.«
Jack zog eine Grimasse. »Ja, gestern ging’s mir echt beschissen. Ist auch noch nicht ganz ausgestanden. Ich wollte deshalb fragen, ob ich heute freihaben kann.«
»Ja, das geht in Ordnung, Jack. Brauchst du was? Ich glaube, ich habe noch Cola im Haus. Die hilft bei so
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