Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wilder Oleander

Wilder Oleander

Titel: Wilder Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Harvey
Vom Netzwerk:
Santa Anas-Winde, Palmwedel peitschten an die Glasscheiben.
    »Ich war sieben. Ein Familienfest fand statt. Ich weiß noch, dass ich meinen Großvater umarmen wollte. Aber er wehrte mich ab, hob mich von seinem Schoß hoch, setzte mich auf den Boden und sagte zu meiner Mutter« – Ophelia schaute Abby mit großen Augen an –, »er sagte: ›Sie ist keine von uns und wird es niemals sein.‹«
    Sie blickte auf das Dokument auf dem Couchtisch.
Weibliches Baby, geliefert am 17 .Mai 1972 an Rose und Norman Kaplan, 633 Dos Padres Drive, Albuquerque, Neu-Mexiko.
Erhielt den Namen Ophelia. 1995 Staatsexamen an der University of California, Santa Barbara mit Promotion in Anthropologie …
    Die vergoldete Bronzeuhr auf dem Kaminsims verkündete die volle Stunde. Ophelia hob den Blick, sah Abby Tylers kreideweißes Gesicht und den gequälten Ausdruck in ihren Augen.
    Sie ging zum Telefon, wählte. Endlos lange schien es zu dauern, bis am anderen Ende abgehoben wurde. Von draußen war ein Krachen zu hören und das aufgeregte Kreischen von Vögeln in der Voliere.
    »Hallo, Dad«, stieß Ophelia aus. »Ist Mom da? Ja, alles bestens. Ich hör mich merkwürdig an? Muss an der Verbindung liegen. Ich weiß, es ist schon spät … aber ich muss kurz mit Mom reden.«
    Beim Warten presste sie die Hand auf den Magen, der Narzissenduft schien sie zu ersticken.
Sie ist keine von uns.
Die Namen und Adresse im Bericht des Privatermittlers, die unwiderlegbaren Fakten. Das konnte doch nicht wahr sein!
    »Mom? Ich hab eine Frage – Ja, mir geht’s gut. Hör zu. Ich möchte wissen – Mom, ich hab doch gesagt, es geht mir gut. Hör einfach zu. Ich muss dich was fragen.« Ophelia holte tief Luft. »Mom … habt ihr mich adoptiert?« Sie lauschte. »Nein, das ist keine dumme Frage, Mom. Hier ist eine Frau, die behauptet, sie sei meine Mutter. Sie hat sogar Unterlagen darüber.«
    Sie ließ ihre Mutter zu Wort kommen, kräuselte die Stirn.
    »Was ist?«, flüsterte Abby.
    »Meine Mutter sagt, wir müssen miteinander sprechen. Aber nicht am Telefon.«
    »Bitten Sie sie herzukommen. Ich werde ihnen den Privatjet schicken.«
    »Mom, ist das wahr?« Ophelia umklammerte den Hörer derart
fest, dass alles Blut aus ihren Fingerknöcheln wich. »
Habt ihr mich adoptiert?
«
    Sie lauschte und nickte wortlos. Abby merkte, wie schwer Ophelia das Schlucken fiel, und holte ihr ein Glas Wasser. »Mom«, sagte die junge Frau da gerade, »man wird Dad und dich mit einem Privatjet abholen.« Ihre Stimme war belegt. »Könnt ihr … Könnt ihr sofort kommen? Gleich morgen früh?« Sie schaute zu Abby, die zustimmend nickte, und sagte dann: »Okay, ja, ich weiß, dass du mich lieb hast. Ich hab dich auch lieb, Mom.«
    Sie hielt Abby den Hörer hin. »Meine Mutter möchte Sie sprechen.«
    Abby raffte ihren ganzen Mut zusammen und übernahm. »Mrs.Kaplan, hier spricht Abby Tyler«, sagte sie beherrscht. »Ich glaube … Ich habe Grund zu der Annahme, dass Ihre Tochter Ophelia
meine
Tochter ist. Die mir zur Verfügung stehenden Unterlagen … Wie bitte?« Abby blickte Ophelia an, die leichenblass geworden war. »Ja, Mai 1972 . Durch Vermittlung eines Mannes namens … « Abby schloss die Augen. »Ja, Bakersfelt. Der nämliche. Wie bitte? Verstehe, Mrs.Kaplan. Darüber sprechen wir, wenn Sie hier sind. Meine Mitarbeiterin wird sich umgehend mit Ihnen in Verbindung setzen und die Reservierungen mit Ihnen absprechen. Gute Nacht.«
    Sie legte auf und wandte sich an Ophelia. »Sie treffen morgen Vormittag hier ein.«
    »Was hat meine Mutter gesagt?« Ophelias Stimme war eher ein Flüstern.
    Abby rang um Worte. »Sie sagt, es ist wahr. Sie wurden vor dreiunddreißig Jahren adoptiert.«

FREITAG
    Kapitel 44
    Sissy war mit höchst zwiespältigen Gefühlen aufgewacht.
    Gestern Abend war es so schön gewesen, im wahrsten Sinne des Wortes spektakulär – diese aus Steinquadern zu einem Schlossturm gestaltete Kulisse, die ausstaffiert war mit Wandteppichen und Rüstungen. Sissy hatte ein enges Mieder getragen und bodenlange weite Röcke und auf dem Kopf eine aus Spitzen gefertigte Haube, aus der um die Ohren herum ihr zu kleinen Löckchen geringeltes Haar hervorlugte. Um sich die Zeit zu vertreiben, hatte man ihr eine Stickarbeit in die Hand gedrückt, und als sie schon meinte, man habe sie vergessen, war ein Mann durchs Fenster gekommen, buchstäblich hereingeflogen, und Sissy war aufgesprungen und hatte einen Schrei ausgestoßen. Dann aber hatte sie das Wams, die Kniehosen

Weitere Kostenlose Bücher