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Wilder Oleander

Wilder Oleander

Titel: Wilder Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Harvey
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verfärbten Fußes vom Sofa aufzustehen, »aber ich möchte davon absehen, Sie in unsere persönlichen Probleme hineinzuziehen.« Sie humpelte zu einem mit Schäferszenen eingelegten geschnitzten Schrank, schenkte zwei Gläser mit Mineralwasser ein und sagte: »Verraten Sie mir doch mal, wieso ich dieses Preisausschreiben gewonnen habe. Wo ich doch nie an Preisausschreiben teilnehme.«
    Abby überlegte, ob sie Ophelia, wie schon Coco und Sissy, von Sam Strikers Großherzigkeit erzählen sollte, hielt jedoch diese Notlüge hier nicht für angebracht. Es ging ihr darum, die Gründe für Ophelias Probleme zu erfahren und ob und wie sie gelöst werden konnten.
    Ohne zu fragen und wie selbstverständlich reichte Ophelia Abby ein Glas und humpelte zum Sofa zurück. Ihr sorgenvoller Blick auf die geschlossene Tür verriet, dass sie an den Hintergründen des Preisausschreibens eigentlich gar nicht interessiert war.
    Also musste Abby ins kalte Wasser springen. Diese junge Frau war ihre Tochter, für die sie nach dreiunddreißig Jahren da sein wollte. »Möchten Sie nicht darüber sprechen?«
    Ophelia starrte sie an. Irgendwoher wusste sie, dass Abby Tyler dieses Resort vor vierzehn Jahren geschaffen und seither nicht verlassen hatte. Eine gepflegte, attraktive Frau Ende vierzig, geschmackvoll gekleidet, mit eindrucksvollen Augen
– klarer, offener Blick, wie Fenster zu einer verständnisvollen Seele. »Es ist wegen meiner Schwangerschaft«, sagte sie leise.
    In der Wüste, eingeklemmt zwischen den Felsen, allein mit dem Wind und dem Sand und dem Himmel, hatte Ophelia nach Antworten gesucht und stattdessen eine verblüffende Offenbarung erfahren.
    Als sie in der Sonne ausschritt und der Stille lauschte, kam sie sich wie in einer unberührten Welt aus prähistorischer Zeit vor, wie in der Landschaft, die die nicht minder unberührten Vorfahren der Menschheit hervorgebracht hatte. Der Wind umwehte ihr Gesicht mit seinem heißkalten Atem und entführte ihre Seele gleichsam auf eine Zeitreise in die Vergangenheit. Die Welt der Bücher, der Fernsehshows und Streikpostenketten verblasste, je heller die Farben der Wüste leuchteten, und ihre Sinne schärften sich, bis sie zu verstehen meinte, was der rotschwänzige Falke, der über ihr kreiste, ihr mit seinem widerhallenden Schrei auszudrücken versuchte.
    Um sich etwas Ruhe zu gönnen, hockte sie sich auf Felsgestein und stellte sich vor, Tierhäute als Kleidung zu tragen, Wurzeln und Beeren zu essen und ihr Kind zu versorgen. Sie tastete sich zurück zu ihren eigenen Ursprüngen, wurde zu einer Cro-Magnon-Frau aus dem Jungpaläolithikum, für die es keine Zweifel, keinen Zwiespalt der Gefühle gab und keine schmerzlichen Entscheidungen zu treffen waren. Die Endsumme aller Faktoren ihres Seins ergab, dass das Leben so war, wie es war. Die Frage, ob sie das neue Leben in ihrem Leib behalten oder zerstören sollte, stellte sich erst gar nicht. Das Leben war heilig und wichtig für das Fortbestehen der Gattung.
    Der Moderator einer Talkshow hatte sie einmal gefragt, ob sie sich an das, was sie predigte, auch selbst hielte, und scherzhaft gemeint, dass ihre »Höhle« in Beverly Hills dann
ja wohl dementsprechend aussehen müsse. Und wo sie denn am Rodeo Drive Fleisch von Mastodonten oder anderen Tieren aus dem Jungtertiär auftreiben würde. Es hatte geklungen, als könne sie sich unmöglich an das halten, wofür sie sich stark machte; ihre Welt sei eine völlig andere als die der Hominiden.
    Aber Ophelia wusste mittlerweile, dass sie sehr wohl imstande war, sich selbst an das zu halten, wofür sie eintrat. Nicht die Kleidung war Ausschlag gebend, auch nicht die Art der Unterkunft oder dass Neandertaler keine Autos kannten. Es ging einzig und allein um das, was
in
ihr steckte.
    Jetzt, in die Welt von heute zurückgekehrt, sagte sie zu Abby: »Ich bin in die Wüste gegangen, um mich zu einer Entscheidung für oder gegen mein Baby durchzuringen. Dass ich schwanger werden würde, war nicht vorgesehen. Meine Antibabypillen haben versagt. Ms. Tyler, ich bin eine Aschkenas jüdischer Abstammung und David ebenfalls. Er wurde positiv auf ein mutantes Gen getestet, das die so genannte Tay-Sachs-Krankheit auslöst.«
    »Davon hab ich schon mal gehört.«
    »Dann wissen Sie, was sein kann, wenn ich dieses Kind austrage. Deshalb habe ich mit dem Gedanken gespielt, es abtreiben zu lassen.«
    Abby griff sich an die Kehle.
    »Aber nur ganz kurz. Ich werde das Baby behalten, Ms. Tyler. Er oder sie

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