Wilder Oleander
Aufruhr geraten zu sein, Abbys wunderschönes Ferienparadies den Wüstenwinden ausgeliefert.
»Es gelang ihm, die Leiterin des Gefängnisses, in dem ich mein Kind zur Welt gebracht hatte, zum Reden zu bringen. Darum hatten sich frühere Detektive auch schon bemüht, aber vergebens. Diesmal jedoch« – Abby sah Ophelia an – »traf mein Ermittler die pensionierte Leiterin in einem fortgeschrittenen Stadium von Leberzirrhose an, und es drängte sie, über die Vergangenheit zu sprechen. In den Jahren, da sie im texanischen Strafvollzug tätig gewesen war, hatte sie bei den verschiedensten illegalen Machenschaften mitgewirkt und wollte nun, so kurz vor dem Tod, wohl ihr Gewissen entlasten. Jedenfalls gab sie meinem Ermittler einen Hinweis.«
Während Ophelia sich fragte, worauf Ms. Tyler eigentlich hinaus wollte, berichtete Abby, wie sich die Suche schließlich auf einen Mann konzentriert hatte: auf Spencer Boudreaux, den ihr Privatdetektiv in einem schäbigen Hotel auftrieb und der für eine Flasche Rotwein zu einer Aussage bereit war. »Er war in den sechziger und frühen siebziger Jahren als ›Ausfahrer von Babys‹ tätig gewesen. An Einzelheiten konnte er sich zwar nicht mehr erinnern, sagte aber, das damalige Kindermädchen könne bestimmt die fehlenden Auskünfte liefern. Mein Ermittler spürte sie auf und erhielt von ihr weitere Namen sowie zusätzliche Informationen, die darauf hindeuteten, dass in der Nacht des 17 .Mai 1972 drei Säuglinge aus dem Gefängnis von White Hills abgeholt worden waren.«
Abby unterbrach sich. Das Herz klopfte ihr bis zum Halse. Sollte sie jetzt ihren Bericht beenden und gehen und Ophelia die wahren Hintergründe ihrer Herkunft verschweigen? Das hätte sie wohl getan, wenn da nicht Ophelias Angst um ihr Kind gewesen wäre. Die junge Frau musste erfahren, wie es tatsächlich um sie stand. Dass sie nämlich nicht jüdischer Abstammung war und deshalb keinesfalls das mutante Gen in sich tragen konnte.
Ophelia kräuselte die Stirn. »Der 17 .Mai 1972 ist der Tag, an dem
ich
geboren bin.«
»Ich weiß«, sagte Abby. Sicherheitshalber hatte sie schriftliche Unterlagen mitgebracht, die sie nun aus ihrer Umhängetasche zog. »Meine Tochter«, sagte sie, »wurde in den frühen Morgenstunden des siebzehnten Mai geboren und am Abend desselben Tages an diese Adresse geliefert. Deshalb habe ich Grund zu der Annahme, dass Sie meine Tochter sind.«
»Waaas?!« Ophelia starrte Abby an. Dann nahm sie die Akte zur Hand, schlug sie auf und überflog die dort abgehefteten Schriftstücke.
»Wir wissen, dass Boudreaux bereits zwei Babys im Auto hatte, als er am Gefängnis von White Hills Halt machte«, sagte Abby. »Nur wen von den dreien er in jener Nacht abholte, war nicht in Erfahrung zu bringen. Inzwischen habe ich die beiden anderen, die ebenfalls in Frage kamen, ausgesondert, und Sie sind übrig geblieben.«
Ophelia sah sie verständnislos an. »Sie halten mich für Ihre Tochter?« Und indem sie die Akte zurückgab, meinte sie: »Das stimmt nicht. Ich weiß, wer meine Familie ist.«
»Dr.Kaplan, Sie haben kein Preisausschreiben gewonnen. Es diente als Vorwand, Sie hierher zu holen … «
»Ms. Tyler, ich wurde
nicht
adoptiert. Ihr Privatdetektiv hat sich geirrt.«
»Hier steht es schwarz auf weiß.« Abby deutete auf die Akte.
»Tut mir Leid. Ich hatte nicht die Absicht, es Ihnen zu sagen. Das steht mir gar nicht zu. Welches Recht hätte ich, mich in Ihr Leben und in das derjenigen einzumischen, die Ihnen nahe stehen? Die veränderten Umstände indes zwingen mich dazu. Dr.Kaplan, Sie sind von Ihrer Abstammung her keine Aschkenas. Meine Vorfahren waren Schotten. Von daher besteht also für Ihr Baby keinerlei Gefahr.«
»Das kann nicht sein.« Ophelia erhob sich. »Meine Mutter hätte mir das doch gesagt … « Und mit einem Mal war das Zimmer durchdrungen von dem betäubenden Duft weißer Narzissen. Schwindel erregend.
Abby sprang auf. »Ist Ihnen nicht gut?«
Ophelia stützte sich auf eine Stuhllehne. »Großer Gott … «
Abby beobachtete sie mit angehaltenem Atem.
»Ich erinnere mich ganz schwach an etwas«, sagte Ophelia unvermittelt, »was ich sehr lange verdrängt hatte, bis ich gestern in einem Ihrer Gärten den Duft weißer Narzissen wahrnahm. Seither versuche ich herauszufinden, was genau das war. Es hat etwas mit meinem Großvater zu tun. Ich saß auf seinem Schoß … «
Sie hielt inne und starrte vor sich hin. »Jetzt fällt es mir wieder ein!«
Draußen heulten die
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