Wilder Oleander
und das prächtige, mit einem Federbusch geschmückte Barett des Mannes gesehen und dass er mit seinem schwarzen Haar und dem verwegenen Lächeln unglaublich gut aussah. Und auf seine inständige Bitte hin, dem Nachtdienst nichts von seiner Anwesenheit – »eines Hauptmanns der königlichen Musketiere« – zu verraten, hatte sich Sissy auf der Stelle mit ihrer Rolle identifiziert.
Sie hatte vorgehabt, das eine oder andere aus den sexuellen Handbüchern auszuprobieren. Und wenn sie geglaubt hatte, sie müsste ihrem Partner lang und breit erklären, worauf es ihr ankam, so war das gar nicht nötig gewesen. Ein paar Andeutungen genügten, und schon verlief alles nach Wunsch.
Dienstagnacht, mit dem Lieutenant der Marines, hatte Sissy etwas ausprobiert, was sie ebenfalls noch nie getan hatte, und es war himmlisch gewesen. Gestern Nacht waren es dann vertauschte Rollen. Sie hatte sich lasziv zurückgelehnt, derweil ihr Lustknabe sie mit der Zunge langsam und unwiderstehlich erregt hatte. Wie wonnevoll das sein würde, hätte sie nie für möglich gehalten. Ihr Orgasmus hatte einer Explosion geglichen.
Das Herrliche daran war, dass ihr Partner im Anschluss daran auch noch für Sex der eher konventionellen Art zu haben gewesen war und ihr mit seinem atemberaubenden Penis weitere lustvolle Höhepunkte verschafft hatte.
Was für eine sagenhafte Woche – Alistair auf der Brücke, der Lieutenant der Marines auf Urlaub vom Fronteinsatz, ihr Badezimmerpartner mit dem Revolver und als weiterer Lusthöhepunkt schließlich der gestrige Abend – Sissy hatte das Gefühl, in einem völlig neuen Körper zu leben. Jedes Molekül vibrierte vor Energie. Heute war ihr letzter Urlaubstag. Der Gedanke an die Abreise behagte ihr nicht sonderlich.
Auch wenn sie Sehnsucht nach ihren Kindern hatte und es kaum erwarten konnte, sie in die Arme zu schließen, zu erfahren, wie das Fußballtraining verlaufen war, die Diktate in der Schule und welche Filme sie sich angeschaut hatten. Auch Ed fehlte ihr, so sehr sie vor der unvermeidlichen Auseinandersetzung mit ihm zurückschreckte. Sie würde ihn verlassen, keine Frage. Sie hatte sich mit vier Fremden sexuell vergnügt, aber keinem von ihnen ihr Herz geschenkt.
Nach einer erfrischenden Dusche trocknete sie sich ab und versuchte, sich auf den vor ihr liegenden Tag einzustimmen. Gleich Scarlett O'Hara wollte sie sich mit der Zukunft befassen, wenn es so weit war. Noch lagen vierundzwanzig Stunden in The Grove vor ihr, und die gedachte sie voll auszukosten.
Es klopfte an der Tür. Der Zimmerservice? Sie hatte sich ein Filet Mignon mit Rührei bestellt, Papayasaft, eine Kiwi sowie knackfrisches Käsebrot, wie man es nur in The Grove erhielt. Eingedenk des Zimmerkellners vom vergangenen Montag, der sie mit einem lüsternen Blick bedacht hatte – warum ihn nicht zu einem kleinen Frühstück einladen? –, schlang sie die Schärpe ihres seidenen Morgenrocks, unter dem sie nackt war, fest um die Taille und öffnete.
Und prallte zurück.
»Ed!«
»Hallo, Sissy.« Seine Augen wurden kugelrund. »Du siehst bezaubernd aus!«
»Was tust du denn hier?«
»Wir müssen reden. Darf ich reinkommen?«
Sie rührte sich nicht von der Stelle. »Wie bist du hergekommen?«
»Nachdem du dich nicht gemeldet hast, hab ich die Geschäftsführerin angerufen. Miss Nichols. Ich sagte ihr, was los ist, und sie verschaffte mir einen Platz auf der Morgenmaschine hierher. Sissy, du musst mich anhören.«
Ed nach fast einer Woche wiederzusehen brachte sie ganz durcheinander. Er sah immer noch süß aus; mit seinen Grübchen, dem schütteren Haar und der Hornbrille ging etwas Jungenhaftes von ihm aus. Erinnerungen aus fünfzehn gemeinsamen Jahren überfluteten Sissy – das Abschlussfest der High School, ihre Hochzeit, die Flitterwochen, die Geburt ihres ersten Kindes, all die Weihnachten und Geburtstage und wie Ed kopfüber in den Schnee gefallen war und Sissy ihr erstes Abendessen hatte anbrennen lassen und Adrienne mit ihren vier Jahren »Gegrüßet seist du, Maria, von den Knaben« gesagt hatte. Kaum zu glauben, dass dieser Mann sie betrogen und tief gekränkt hatte.
Sie trat beiseite und er kam herein. Kaum hatte sie die Tür
geschlossen, sprudelte es nur so aus ihm heraus: »Sissy, ich liebe dich. Ich habe mich nicht in eine andere verliebt. Ich wollte nur mal wissen, wie es mit einer anderen ist. Pure Neugier. Ich habe mir eingebildet, ich würde etwas versäumen.«
Äußerlich gelassen, innerlich
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