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Wilder Oleander

Wilder Oleander

Titel: Wilder Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Harvey
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jedesmal, wenn er »auf Geschäftsreise« war, gleich nach Ankunft von seinem Hotel aus angerufen und ihr gesagt, tagsüber jage ein Termin den anderen; aber er würde
sie jeweils morgens und abends anrufen. Etwa um ihr zuvorzukommen, um sicherzustellen, dass sie keinen Grund fand,
ihn
anzurufen? Nicht ein einziges Mal hatte er eine Nummer hinterlassen, unter der er erreichbar war, und gesagt: »Ruf mich an, wenn du Sehnsucht nach mir hast.« Hatte er ihr eigentlich jemals den Namen des Hotels genannt, in dem er abstieg? Immer hatte es geheißen: »Keine Ahnung. Meine Sekretärin hat für mich ein Zimmer in einer dieser Hotelketten reserviert, im Marriott oder Holiday Inn. Die sehen für mich alle gleich aus.«
    Der Abrechnung nach war er jedoch in Chicago gewesen und jedesmal im Palmer House abgestiegen.
    Sissy war benommen.
    Und dann wütend.
    Weil ihre Hände derart zitterten, musste sie drei Mal neu wählen, um die richtige Nummer einzugeben. Als Linda antwortete, sprudelte es aus Sissy nur so heraus. »Ich fass es nicht! Ed betrügt mich!« Atemlos erzählte sie ihrer Freundin alles, was sie herausgefunden hatte.
    Lindas Stimme war verständnisvoll. »Hör zu, jeder Mann geht irgendwann mal fremd. Sie können nichts dagegen tun. Das liegt in ihrer Natur. Ich rate dir, das Gleiche zu tun. Was dem einen recht ist, kann dem andern nur billig sein. In dem Stil.«
    »Das bring ich nicht!«
    »So viel ich gehört habe, bist du genau in der richtigen Umgebung für so was. Diskret, weit weg vom Schuss, anonym. Beneidenswert!«
    Verdient hätte Ed es ja. Dass sie sich einen Mann anlachte und Gleiches mit Gleichem vergalt. Nur dass Sissy überzeugt war, sich dazu niemals überwinden zu können.
    Nachdem sie aufgelegt hatte, wunderte sie sich nachträglich, wie eigenartig Linda sich gegeben hatte. Eher zurückhaltend.
Passte eigentlich gar nicht zu Linda. Sissy schob diesen Eindruck ihrem strapazierten Nervenkostüm zu. Wahrscheinlich alles nur Einbildung.
    Sie hatte nicht vorgehabt, den Wein zu öffnen. Schon weil sie nie trank. Aber auf der Suche nach kaltem Wasser entdeckte sie in ihrer Minibar die kleine Flasche Burgunder, schraubte den Verschluss ab und setzte sie einfach so an die Lippen.
    Ein paar Schluck, und sie hätte am liebsten losgeheult. Noch ein paar Schluck, und ihre Empörung kannte keine Grenzen mehr.
    Wie er so etwas nur wagen konnte! Schlimm genug, mit wildfremden Frauen am Telefon schlüpfrige Unterhaltungen zu führen, schlimm genug, hinter ihrem Rücken anderen Weibern nachzustellen! Aber obendrein einen Freund zu erfinden, einen Verkaufsdirektor, um zu vertuschen, wo er sich dreimal pro Woche abends herumtrieb? Und die Hotelrechnungen und Kreditkartenabrechnungen! Die Wochenenden, an denen er angeblich mit der Christlichen Jugend unterwegs war. Die Geschäftsreisen nach Washington. Seine angebliche Teilnahme an Kongressen der Maschinenhersteller in anderen Staaten! Dabei war er die ganze Zeit über im Palmer House gewesen, neunzig Meilen von zu Hause!
    Sie griff nach ihrer Tasche und der Weinflasche und floh hinaus in die kühle Nacht, in der die Grillen zirpten und Eulen schrieen und der Wind in vertrocknete Palmwedel fuhr. Ein Ziel hatte sie nicht. Tränen der Wut verschleierten ihr die Sicht.
    Wie konnte Ed ihr so etwas antun? Was hatte sie sich zuschulden kommen lassen, um ihn dazu zu bringen, sie zu betrügen? Unversehens gelangte sie zu einem hübschen kleinen Plätzchen, das sie innehalten und ihre Tränen langsam versiegen ließ.
    Der Pfad endete an einer japanisch anmutenden, bogenförmig
verlaufenden Holzbrücke, die sich über einen Teich spannte, dessen unbewegliche Oberfläche wie Glas anmutete. Das Mondlicht spiegelte sich im Wasser wie bleicher Opal auf schwarzem Samt. Brücke und Teich waren eingebettet zwischen dichtem Buschwerk und hohen Bäumen. Ganz still war es. Nicht einmal ein Windhauch drang hierher. Ein Ort, an dem die Zeit aufgehoben war.
    Sissy betrat die Brücke, beugte sich, in der Mitte angelangt, über das Geländer und schaute aufs Wasser, in dem hin und wieder einer der exotischen Fische golden aufschimmerte.
    Ihre Welt war zusammengestürzt. Ed betrog sie. Belog sie. Hotels, Juweliere, Blumenläden.
Er gibt Geld für andere Frauen aus.
Sie fühlte sich hintergangen und war unglaublich wütend.
    Die Tränen flossen erneut. Unwillkürlich. Und allein, wie sie war, brach sie in lautes Schluchzen aus.
    »Warum so traurig?«, fragte eine dunkle Stimme leise. Und Sissy

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