Wilder Oleander
ihn in Chicago gesehen. In einem Restaurant, in Begleitung einer aufgedonnerten Blondine. Nach einer Einkäuferin für Maschinenzubehör sah sie mir nicht aus.«
»Warum hast du mir das verschwiegen?«
»Manchmal ist es besser, so was nicht zu wissen. Ein Ehemann geht mal eben fremd und damit hat sich’s. Warum eine gute Ehe wegen eines Seitensprungs kaputt machen?«
Nach dem Gespräch war Sissy völlig ausgerastet, hatte Ed beschimpft und verflucht, hatte mit allem, was ihr in die Hände kam, um sich geschmissen. Ein paar Vasen waren zu Bruch gegangen. Ihr Wutanfall hatte die Leute von nebenan auf den Plan gerufen; sie hatten so lange an ihre Tür getrommelt, bis sie ihnen geöffnet hatte.
Und sofort wieder zur Besinnung gekommen war. Frau Nachbarin als französisches Dienstmädchen in einer schwarz-weißen Uniform, aus der die Brüste herausquollen, der Mann in Reithosen und Stiefeln und einer Reitgerte in der Hand. Sie wollten sich vergewissern, dass ihr nichts passiert sei, und nachdem Sissy sich beruhigt und ihre Tränen getrocknet und ihnen erzählt hatte, sie habe gerade eine unangenehme Nachricht erhalten, waren sie sofort wieder beruhigt gewesen und hatten sie zu einer Lunchparty eingeladen.
Angesichts des absonderlichen Aufzugs der beiden und ihres eigenen Gemütszustands hatte Sissy dankend abgelehnt. Stattdessen war sie zu dem kleinen Dorf im Zentrum der Anlage gegangen, um sich durch die Auslagen der Boutique abzulenken, aber dort hatte sie schließlich nur einem Fremden geholfen, ein Hemd auszuwählen. Mittlerweile war es acht Uhr abends, und Ed hatte noch immer nicht wie eigentlich versprochen angerufen.
Auf den Kreditkartenabrechnungen war jedes Mal dann, wenn Ed angeblich geschäftlich unterwegs war, das Palmer House in Chicago aufgeführt. Über die Auskunft erfuhr sie die Telefonnummer dieses Hotels, rief dort an und bat, mit dem Zimmer von Ed Whitboro verbunden zu werden. Das letzte Fünkchen Hoffnung wurde erstickt, als die Telefonistin »Gerne« sagte und sie durchstellte.
Demnach logierte Ed tatsächlich dort. Er war nur im Augenblick nicht erreichbar, und da Sissy fand, dass das, was sie zu sagen hatte, nicht auf den Anrufbeantworter gehörte, legte sie auf.
Diesmal griff sie nicht zum Wein. Wütend riss sie sich die Kleider vom Leibe und nahm ein heißes Bad, schrubbte sich so gründlich ab, als wollte sie sämtliche Spuren der gemeinsamen fünfzehn Jahre mit Ed ausmerzen. Sie rubbelte sich das Gesicht und die Lippen und tauchte den Kopf ins Wasser,
um Ed auch aus ihrem Haar zu tilgen, wie in dem Song in
South Pacific.
Von den Kleidern, die sie mitgenommen hatte, wählte sie das aus rosa Seide. Trug ein leichtes Make-up auf und steckte das Haar nicht wie üblich zu einem nichtssagenden Knoten auf, sondern ließ es offen. Ein ungewohntes Gefühl, wie es ihren Nacken umspielte.
Noch immer vor Wut kochend, floh sie hinaus in die Nacht, an flackernden Fackeln vorbei, um einen grünlich schimmernden Pool herum, in dem Leute schwammen und planschten, bis sie zu der riesigen Voliere gelangte, in der Vögel herumflatterten, ihrer Freiheit beraubt.
Wohin sie wollte, wusste sie nicht. Einfach der Nase nach. Sie merkte gar nicht, dass sie fast rannte, bis sie dort, wo ein kleiner Pfad eine Biegung beschrieb, an eine warme, harte Mauer stieß, die »Hoppla!« sagte.
Sissy prallte zurück und wäre um ein Haar gestürzt, hätten nicht zwei große Hände nach ihr gegriffen und sie festgehalten. »Nur mit der Ruhe«, sagte eine keinen Widerspruch duldende Stimme. »Wo brennt’s denn?«
Der Mann, zu dem diese Stimme gehörte, lächelte, und als sie sich für ihre Unachtsamkeit entschuldigte, lachte er nur und meinte mit einem leichten Südstaatenakzent: »Mir ist schon Schlimmeres passiert.« Er trug einen Drillich in grünschwarzem Tarnmuster und eine schwarze Baseballkappe mit dem goldenen Schriftzug
United States Marine Corps
. Möglicherweise, durchzuckte es Sissy, war er auf dem Weg zu den flippigen Nachbarn. Sie entwand sich seinem Griff, trat einen Schritt zurück und wäre beinahe wieder hingefallen.
Sie hatte sich den Knöchel verstaucht.
»Lassen Sie mich Ihnen helfen, Miss.« Er streckte einen Arm aus.
Aber Sissy konnte nicht mit dem verletzten Fuß auftreten.
»Ich bring Sie wohl besser zur Krankenschwester.« Und schon hob er sie hoch, sodass sie über dem Boden schwebte. Sicherheitshalber schlang sie einen Arm um seinen Nacken, was aber eigentlich nicht nötig war, denn
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