Wilder Oleander
wurde. Er hatte jahrelang alles daran gesetzt, undichte Stellen zu stopfen, jeden, der hätte plaudern können, zum Schweigen gebracht. Zwei blieben noch. Abby Tyler, die Fallon gut im Auge behielt, und seine Mutter, die noch immer ein Geheimnis mit sich herumtrug, das, wenn jemand dahinter kam, alles zunichte machen konnte.
Francesca wusste noch immer nichts von einer nach Florida abgeschobenen Großmutter, der Irin Lucy Fallon. Und bestimmt ahnte sie auch nicht, dass ihr Vater möglicherweise der uneheliche Sohn eines Gangsters aus Vegas war. Vor Jahren hatte Michael ihr erzählt, wie es sich angeblich mit ihrem Familiennamen verhielt. »Als mein Urgroßvater nach Amerika kam, hieß er noch Antonio Falconelli. Aber der Einwanderungsbeamte auf Ellis Island notierte den Namen versehentlich als Fallonelli. Das verkürzte dann sein Enkel, also mein Vater, zu Fallon, damit es amerikanischer klang. Was aber nichts daran ändert, dass du durch und durch eine Falconelli bist, mein Schatz«, hatte er ihr versichert.
Fallon blinzelte in die untergehende Sonne. Dass er sich in Gedanken mit seinem Vater beschäftigt hatte, schien eine Halluzination hervorgerufen zu haben, denn obwohl es eigentlich unmöglich war, hätte er schwören können, dass der, der sich
dort am Tor mit den bewaffneten Wachen herumstritt, kein anderer als Gino Gamboni war, ein früherer Kumpel.
Heiliger Strohsack – es
war
Gamboni!
Michael schlenderte zum Tor, wies die Leibwächter an, den Mann einzulassen. Sie umarmten sich. Gino Gamboni roch nach Mottenkugeln. Seine käsige Gesichtsfarbe und die vollfleischigen blauroten Lippen deuteten auf einen längeren Aufenthalt im Knast hin. Seine herzergreifende Geschichte war die, dass er, nachdem Michael schlau genug gewesen war, auszusteigen, weiterhin für das Chicagoer Syndikat gearbeitet hatte, 1974 dann geschnappt, wegen Steuerbetrugs verurteilt worden war und seither das Gefängnis abwechselnd von innen oder von außen gesehen hatte.
»Bin grade mal wieder entlassen worden«, sagte der Alte und kippte seinen ersten Whisky seit fünf Jahren. »Du warst schlau, Michael. Hast den Umschwung vorausgesehen, damals in Vegas. Du wusstest, dass es nicht lange dauern würde, bis die Bullen in der Stadt aufräumen würden. Spilotro und die andern haben nicht kapiert, dass ihre Tage gezählt waren. Du ja.« Er hielt sein Glas zum Nachfüllen hin.
Der Barkeeper ging großzügig mit dem Glenlivet um.
»Wirklich ein hübsches kleines Mädchen, was du da hast, Michael. ’ne richtige Prinzessin.« Er warf einen Blick auf die Tische, die sich unter Bergen von Ravioli, Spaghetti und Kalbfleisch Marsala bogen. »Gute italienische Küche hab ich seit Ewigkeiten nicht mehr zu essen gekriegt«, sagte er.
Michael nickte mitfühlend. Was war das Leben ohne Lasagne und Chianti? Aber er hatte angenommen, Gamboni sei tot. Jetzt galt es, rasch zu überlegen. »Wie geht’s dir denn so, Gino? Ich meine, hast du ’ne Bleibe? Geld?«
»Ah, Scheiße, Michael. Ist schwer. Burschen wie wir sind nicht mehr gefragt.«
Wortlos griff Fallon in seine Tasche und zog ein mit einem
Platinclip zusammengehaltenes Bündel Geldscheine heraus. Alles Hunderter, wie Gamboni mitbekam. Michael zählte zehn Scheine ab und drückte sie dem alten Kameraden in die Hand.
»Wenn du einen Job brauchst«, sagte er, »komm morgen vorbei. Kein Freund von mir soll in dieser Stadt Not leiden.«
Gamboni fing an zu weinen. »Ist lange her, dass wir Drogen aus Mexiko rübergeschafft haben, wie, Michael?«
Fallon lächelte. »In der Tat, Gino. Hundert Jahre.«
Gamboni stürzte seinen Drink hinunter. »Weißt du noch, diese Babys, die wir durch die Gegend gekarrt haben? Anno achtundsechzig? Stell dir vor, was ich mal gemacht hab. Ich komm mit einem Baby nach Fresno und sag dem glücklichen Ehepaar, dass es doppelt so viel kostet. Ich hätt nichts damit zu tun, nur den Auftrag, zwanzigtausend zu kassieren. Und wenn sie das Geld nicht hätten, müsst ich das Kind wieder mitnehmen. Und weißt du was? Sie kratzen wirklich die zusätzlichen zehn Riesen zusammen. Die hab ich für mich behalten und Bakersfelt nichts davon erzählt. Diese Fuhren damals, was war das für leicht verdientes Geld«, fügte er sehnsüchtig hinzu.
»Hey, Gino.« Michael versetzte ihm einen Klaps auf den Rücken. »Trink nicht zu viel, okay? Das hier ist immerhin ein Fest zu Ehren meiner Tochter. Und noch was: Ich bin kein Snob, das weißt du. Aber mit diesen Klamotten kannst du dich
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