Wilder Oleander
anderen
Tageszeiten. Dabei sollte er doch eigentlich nur darüber nachdenken, wie er ihr entlocken konnte, was sie über seine Schwester wusste.
Er fing ihren Blick auf seine Handschuhe auf. »Ich beschäftige mich gerade mit meiner Ausrüstung«, sagte er. Sie sah den mächtigen Bogen an der Wand lehnen und die Pfeile auf Zeitungspapier auf dem Boden ausgebreitet. Aus der Stereoanlage vernahm sie zu ihrer Überraschung klassische Musik. Brahms oder Schumann. Sie hätte Jack Burns eher für einen Jazz-Hörer gehalten.
Jack bewohnte das Sierra-Nevada-Häuschen. Äußerlich unterschied es sich nicht von den anderen – in gedämpften Ockertönen verputzt, um unauffällig zu wirken –, innen jedoch glich es einer rustikalen Berghütte mit einem gemauerten Kamin, mit Kuhhaut überzogenen Möbeln, indianischen Teppichläufern und Bildern von Elchen und Grizzlys. Genau das Richtige für das Raubein Jack, befand Abby.
Sie warf einen Blick in Richtung Schlafzimmer mit dem von vier Pfosten begrenzten Bett aus grob behauenem Holz. Der nach alten Mustern gefertigte Quilt lag zerknautscht am Fußende, die Laken waren zerwühlt. Das Zimmermädchen war noch nicht da gewesen. Auf dem Kissen die Vertiefung, die Jacks Kopf hinterlassen hatte. Abby stellte sich ihn im Bett vor und dachte daran, wie sie sich im Traum mit ihm vom Ozean hatte tragen lassen, er in ihr fest verankert …
»Das Hausmädchen war noch nicht da«, sagte er und ging in die Hocke, um eine Flasche mit einer ätzend riechenden Flüssigkeit zu verschrauben.
Abby war fasziniert von der Ausrüstung, die zum Bogenschießen erforderlich war. In dieser Hütte, der Unterkunft eines Pelzjägers nachempfunden, wirkte sie, als gehörte sie zum Inventar.
»Ich fertige meine Pfeile selbst«, sagte Jack und räumte Zange,
Messer, Schmirgelpapier, Wachs und Farbe zusammen. »Das entspannt mich. Ich mag Zedernduft und spüre gern Holz zwischen den Fingern. Ich mache das Cresting, mit meinen eigenen Farben. Auch das Befiedern besorge ich selbst.«
»Cresting? Befiedern?«
Er verschloss den Werkzeugkasten. »Um den Schaft farbige Ringe aufmalen und die Federn aufstecken.«
Als er sah, wie sie den Bogen anstarrte – genauso hatte sie gestern geschaut, als er vom Training aus der Wüste zurückkehrte –, kam ihm eine Idee. Jack befand sich nun schon zwei Tage und drei Nächte im Resort und hatte immer noch nicht ihre Fingerabdrücke sichergestellt. Die Gelegenheit war perfekt.
Noch immer die weichen Arbeitshandschuhe übergestreift, langte er nach einem Poliertuch und nahm sich dann den Bogen vor. »Schon mal so was in der Hand gehabt?«, fragte er und fuhr mit dem Tuch sorgfältig über den Holzgriff.
»Ich hab so was noch nicht mal
gesehen
«, sagte sie.
»Ich zeig Ihnen, wie man damit umgeht.« Er zog etwas aus der Tasche und reichte es ihr. »Wenn Sie Rechtshänderin sind, ziehen Sie sich den über die rechte Hand.«
Sie schlüpfte in den Handschuh. »Da fehlen ein paar Finger.«
»Zum Spannen der Sehne benutzt man nur drei Finger. Zeige-, Mittel- und Ringfinger. So«, sagte er und berührte sie leicht.
Ein Stromschlag jagte durch Abby hindurch. Warum ließ sie sich auf so was ein?
Aber schon reichte Jack ihr den Bogen, und sie nahm ihn entgegen. Er war überraschend leicht, wog etwa zwei Pfund, obwohl seine Länge fast ihrer Körpergröße entsprach. »Was für ein Riesending!«, keuchte sie.
Gütiger Himmel
, dachte er. Wie eindeutig zweideutig sich das anhörte.
Vielleicht täuschte er sich aber auch, weil er daran gedacht hatte, wie er sie im Traum im Hochland in der Wüste geliebt hatte. Der Traum stand derart deutlich vor ihm, dass er sich zwingen musste einzusehen, dass er
nicht
in ihre geheimsten Orte eingedrungen war, sie
nicht
bis zur Atemlosigkeit geküsst hatte. Dabei meinte er selbst jetzt noch ihren ekstatischen Schrei als Echo in den tiefen, roten Canyons zu vernehmen. »Okay«, sagte er, »er hat ein Zuggewicht von sechzig Pfund. Das schaffen Sie nicht allein.«
Er stellte sich hinter sie, legte seine Hand auf ihre und hob den Bogen, sodass ihre linken Arme nebeneinander und parallel zum Boden ausgerichtet waren. Dann griff er nach ihrer rechten Hand und platzierte ihre Finger um die Sehne. Abby spürte seine Brust an ihrem Rücken. Jack, das Gesicht nahe an ihrem, sog den Duft ihres Haars ein und wurde von einer Welle der Erregung überspült.
»Jetzt spannen, aber nicht mit den Armen, sondern mit dem Rücken.« Seine Stimme war leise,
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