Wilder Oleander
werden durften und pro Kunde nur ein männliches Tier. Wir respektierten das Wild. Sinnloses, unkontrolliertes Töten war nicht erlaubt. Wir waren unnachsichtige Gesetzeshüter und schossen auf Wilderer, wo immer sie auftauchten. Aber seit wir verfemt sind, drängen die Wilderer herein, und da ist keiner, der gegen sie vorgeht!«
Vanessa war erschüttert gewesen, hatte sich aber gleichzeitig gefragt, warum Zeb, wenn ihn der Zeitungsartikel derart aufwühlte, nicht nach Afrika zurückging und alles daran setzte, die wilden Tiere zu retten. Gehörte das zu seinem Geheimnis?
Jetzt sah sie ihn mit schweißglänzendem Oberkörper zwischen den dicht belaubten Bäumen in der Voliere stehen. Er nahm seinen Hut ab, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Es war eine Baseballkappe der Dodgers, denn Zeb war ein echter Fan. Von April bis Oktober verpasste er nicht ein einziges Spiel. Das war ein weiterer Zug an ihm, der sie faszinierte, und sie musste sich eingestehen, dass sie noch nie so verliebt gewesen war. Und sich deswegen so elend fühlte.
Sie konnte ihm unmöglich die Wahrheit über sich erzählen.
Sie folgte dem Pfad, der sich durch die riesige Voliere schlängelte, blieb neben einem blühenden Hibiskusstrauch stehen. Ihr Herz und ihr Körper verkrampften sich derart vor Verlangen, dass ihr als Ausweg aus ihrem Dilemma eigentlich nur blieb, sich ihm
doch
anzuvertrauen. Warum denn nicht? Wenn Abby drauf und dran war, The Grove zu verlassen, und
ein undurchsichtiger Polizist von der Mordkommission hier herumschnüffelte, ging damit auch ein Kapitel ihres eigenen Lebens zu Ende. Sie und Abby hatten dreiunddreißig Jahre lang eine relative Freiheit genossen; damit könnte es jetzt vorbei sein, und keiner der beiden wusste, was der nächste Tag bringen würde.
Dies hier war vermutlich die letzte Gelegenheit für sie, mit Zeb zu sprechen. Warum ihm also nicht reinen Wein über sich und ihre Vergangenheit einschenken?
Ihr Herz fing an, schneller zu schlagen, als sie überlegte, dass ihre Beichte auch eine Chance für sie beide sein konnte – wenn er ein Geheimnis hütete, würde er dann nicht eher Verständnis für
ihres
aufbringen? Einer, der andere verdammte, schien er nicht zu sein, und außerdem lag die Tat, die sie begangen hatte, schon so lange zurück, war außerdem Notwehr gewesen.
Ja, überlegte sie, mit einem Mal Feuer und Flamme und zunehmend beherzter. Ich werde ihm alles sagen! Auf der Stelle und frei heraus und hier, inmitten exotischer Vögel und Blumen, im diffusen Sonnenlicht, das oben durch die Maschendrahtabdeckung drang – in dieser grünen Wildnis, die unberührt und ursprünglich war wie der Garten Eden, so urtümlich wie Afrika! Sag es ihm jetzt. Dies ist deine letzte Chance, morgen kann es bereits zu spät sein.
Sie ging einen Schritt auf Zeb zu, der ihr den Rücken kehrte und nichts von ihrer Anwesenheit ahnte, als vom Nordeingang der Voliere her eine langbeinige blonde Frau auf Zeb zustürzte. »Hier steckst du also! Ich bin aufgewacht und du warst nicht mehr da!«, rief sie, schlang die Arme um seinen Hals und küsste ihn herzhaft. Zur Salzsäule erstarrt, sah Vanessa mit an, wie Zeb ganz selbstverständlich den Kuss der Blondine erwiderte.
Enttäuscht trat sie langsam den Rückzug an, in den Schutz
hoher Farngewächse und außer Hörweite. Sie wollte gar nicht wissen, was die beiden miteinander sprachen.
Was hatte sie sich bloß eingebildet? Wieso die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass sich zwischen ihr und Zeb etwas entwickeln könnte? Sie gehörten unterschiedlichen Welten an, unterschiedlichen Rassen. Und sie wusste, dass Zeb seine festgefügten Vorstellungen von Moral und Ethik hatte und nach einem strengen persönlichen Kodex lebte. Wie sollte sie ihm klarmachen, dass der Mann, den sie umgebracht hatte, ein Zuhälter war und sie in Notwehr gehandelt hatte? Wie die Brandstiftung im Gefängnis von White Hills rechtfertigen, in dem die Häftlinge gepiesackt wurden? Gut, dass die Blonde dazugekommen war und sie davor bewahrt hatte, sich lächerlich zu machen.
Kapitel 27
Immer wieder hatte Abby einen Traum, der damit begann, dass es an der Tür klopfte.
»Ms. Tyler?«
»Ja?«
»Ich bin von der Staatsanwaltschaft.« Stets hatte er einen texanischen Akzent, dafür variierte die Kleidung. »Wir haben nochmals Ihren Fall überprüft und sind zu dem Ergebnis gelangt, dass Sie des Mordes an Avis Yocum nicht schuldig sind. Das Urteil ist revidiert worden. Sie sind
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