Wilder Oleander
hingebungsvoller, treuer Ehemann, keiner, der seiner Frau Annehmlichkeiten und Vergnügungen missgönnte. Ed war ungemein großzügig, auch sich selbst gegenüber. Vor kurzem war er dem sündhaft teuren Rockford Men’s Racquet Club beigetreten, auf Initiative von Hank Curly, Eds neuem Verkaufsdirektor, einem Fitness-Fanatiker. Ed und Hank spielten jetzt zwei bis drei Mal die Woche Badminton, und das Ergebnis konnte sich sehen lassen: Eds Schmerbauch war weg und seine Arme mauserten sich allmählich zu Muskelpaketen. Die Veränderung hatte ihn seltsamerweise noch großzügiger werden lassen. Ein neues Auto für Sissy, Verfügung über alle Privatkonten und neue Garderobe so viel sie wollte. Jeden Samstag Abendessen im Country Club. Dazu ein Traumhaus und drei wunderbare Kinder, kurzum ein Leben, wie es schöner nicht sein konnte.
Warum hatte sie dann das Gefühl, dass ihr irgendetwas fehlte?
Immer wieder musste sie an diese Leute von nebenan auf der Liege denken. Außer in nicht jugendfreien Filmen hatte sie noch nie gesehen, wie zwei es miteinander trieben. Sie war auf seltsame Art verunsichert. Und so nervös, dass sie jetzt beim Anblick der Berge von Fotos und Erinnerungen und Zetteln ihr Vorhaben als höchst einfallslos und langweilig empfand. Wer kam denn in ein Urlaubsparadies wie dieses, um ein Familienalbum zusammenzustellen?
Eine gute Mutter, sagte sie sich, die macht so was. Immer wieder wurde Sissy Whitboro als gute Mutter hingestellt. Und die zu sein hatte sie sich, als Adrian zur Welt kam, ja auch geschworen, keine so kühle und abweisende wie ihre eigene gewesen war – »Bring Mutters Frisur nicht in Unordnung. Finger weg von Mutters Make-up.« Eine Frau, die
niemals ihr Kind in den Arm genommen oder »Ich hab dich lieb« gesagt oder herumgealbert hatte, um ihr Kind zum Lachen zu bringen. Oder ein Familienalbum zusammengestellt hatte.
»Du bist die beste Mutter der Welt«, hatte ihre Busenfreundin Linda gesagt, als sie Sissy zum Flughafen brachte. »Jetzt vergiss mal deine Familie und amüsier dich!« Linda, selbst Mutter von zwei Kindern und geschieden, war alles andere als ein Kind von Traurigkeit. Zum Abschied hatte sie Sissy ein kleines »Care-Paket« in die Hand gedrückt, mit der Auflage, es erst zu öffnen, wenn sie allein in ihrem Zimmer war. Sissy hatte es gestern Abend ausgepackt; zum Vorschein gekommen waren Kondome in verschiedenen Geschmacksrichtungen, schokoladenbraune Körperfarbe und einen in Smileys versenkten Dildo. Auf der beigelegten Karte stand: »Ich bin in Gedanken bei dir!«
Zum Sex hatte Linda eine weitaus liberalere Einstellung als Sissy. Als sie von einem Bordell für Frauen in Beverly Hills erfahren hatte, war sie hingeflogen, um sich persönlich ein Bild davon zu machen. Sie hatte das Etablissement gefunden, das Butterfly am Rodeo Drive; leider war es ausschließlich Mitgliedern vorbehalten, und um Mitglied zu werden, musste man einen Bürgen stellen. Linda war enttäuscht zurückgekommen. Als dann einige Monate später vermeldet wurde, dass die Polizei das Bordell ausgehoben hatte, hatte sie zwar »schade« gesagt, war aber insgeheim froh gewesen, nicht Mitglied geworden zu sein. In Rockford hätte ein derartiger Skandal hohe Wellen geschlagen. »Ich frage mich, ob The Grove nicht derselben Frau gehört«, hatte Linda spekuliert, als sie Sissy beim Packen Gesellschaft geleistet hatte. »Das Butterfly gibt’s nicht mehr, und wie es heißt, soll die Frau, der The Grove gehört, geheimnisumwittert und äußerst verschwiegen sein.«
Draußen wurde laut gelacht. Sissy schoss das Blut in die Wangen, als sie daran dachte, wie der Mann von nebenan sie angegrinst hatte, ohne sein Auf und Nieder zu unterbrechen – ein schamloses Grinsen, wie eine Aufforderung an Sissy, mitzumachen.
Sie schüttelte den Kopf und ging an die Arbeit, legte Pinzetten bereit, eine Schere, Ausstanzer, Garnierungen, Aufkleber, Gummistempel, farbige Filzstifte, Bleistifte, Leuchtstifte. Zu Hause, im Laden für Künstlerbedarf, hatte sie sich mit allem eingedeckt, was sie meinte gebrauchen zu können …
Wie lief eigentlich ein Dreier ab? Konnte ein Mann zwei Frauen gleichzeitig befriedigen?
Dass sie über so etwas überhaupt nachdachte, schockierte sie. Mit ihrer streng katholischen Erziehung hatte Sissy auf der Highschool mit den Jungs allerhöchstens herumgeschmust. Von ihrer Jungfräulichkeit hatte sie sich in der Hochzeitsnacht verabschiedet und seither mit keinem anderen Mann geschlafen.
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