Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wilder Oleander

Wilder Oleander

Titel: Wilder Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Harvey
Vom Netzwerk:
einen alten Mafioso aus Vegas, Carlo Bellagamba, der bereits 1970 von der Bundespolizei aus Nevada ausgewiesen worden und in Chicago an Herzschlag gestorben war (in einem Puff, wie gemunkelt wurde, bei dem Versuch, zwei Huren gleichzeitig zu vögeln). Fallon hatte das Foto angestarrt, das Bellagamba als jungen Mann zeigte und aus alten Polizeiakten stammte, hatte in den italienischen Gesichtszügen nach Übereinstimmung mit seinen eigenen gesucht und gefragt:
Bist du mein Vater?
    Die Krankenschwester begrüßte ihn herzlich und begleitete ihn durch einen Korridor voller Betten, Rollstühle und mehr oder weniger gebrechlichen alten Leuten.
     
    Mehr als fünfzig Jahre lang hatte Michael alles getan, um das Geheimnis, das seine Mutter mit sich herumtrug, zu lüften. Vielleicht ließ sie sich ja diesmal überreden. Lucy war immerhin achtundsiebzig und kürzlich in dieses Pflegeheim umgezogen, nachdem sie sich bei einem Sturz die Hüfte gebrochen hatte. Sie war auf ärztliche Betreuung angewiesen und konnte sich nur mit einem Gehwagen bewegen. Die Aussicht, in absehbarer Zeit ihrem Schöpfer gegenüberzutreten, könnte ihr unter Umständen die Zunge lösen. Und die Sammelmappe würde ein Übriges tun. Michael wollte mit ihr die Zeitungsausschnitte durchgehen und fragen: »Ist er das? Ist es der hier?« Das sollte es ihr leichter machen.
    Sie bewohnte ein Einzelzimmer. Von bauschigen Kissen gestützt, ein rosa Bettjäckchen um die schmalen Schultern, sah sie dem Besucher freudig überrascht entgegen. »Mikey!«, strahlte sie ihn an. Was für ein schmucker Sohn. Fast sechzig, und noch voller Saft und Kraft. Und das Haar so dunkel.
    »Ma«, sagte er leise. »Wer war mein Vater? Verrat es mir endlich.« Falls der Name wirklich ein Schock war – Lucky Luciano zum Beispiel –, würde Michael sagen, seine Mutter sei vergewaltigt worden. Aber er brauchte den Namen, um zu wissen, woran er war.
    Lucy presste die Lippen aufeinander. Ihrem Sohn reinen Wein einzuschenken, hatte ihr ihr Stolz verboten. Konnte er das denn nicht verstehen? Eigentlich hatte sie angenommen, er würde nicht mehr auf dieses Thema zu sprechen kommen. Was spielte es denn für eine Rolle, wer sein Vater war? Lucy wollte sich ihre Würde bewahren. So lange sie den Namen des Mannes für sich behielt, konnte ihr niemand etwas anhaben.
    »Aber Mikey, das ist doch völlig unwichtig. Du hast es zu etwas gebracht. Du bist wohlhabend. Einflussreich. Ich bitt dich recht schön: Lass mir mein kleines Quäntchen Würde.«
    Gegen ihre Sturheit kämpften selbst Götter vergebens. Fallon wusste, dass nichts aus ihr herauszuholen war.
    Die Hochzeit fand in drei Tagen statt. Zu viel hing davon ab – Mike Fallon hatte sein Leben und seine Zukunft auf dieses Treueversprechen, das das Brautpaar ablegen würde, verpfändet. Das Risiko, dass sich seine sentimentale alte Mutter verplapperte, durfte er nicht eingehen. Egal, wie verliebt Francesca und Stephen sein mochten; wenn die Vandenbergs Wind von einem Skandal bekamen – der Großvater der Braut ein berüchtigter Ganove!-, würden sie die Hochzeit verbieten und Stephen (Leute seines Schlags kannte Fallon nur zu gut) sich damit abfinden.
    Ohne sich zu verabschieden verließ er das Zimmer, verzog sich in eine geschützte Ecke im Flur und klappte sein Handy auf. Er hatte noch immer Kontakte in Florida. Die Sache musste unverzüglich geregelt werden. Die Einzelheiten waren unwichtig – ob sich der Beauftragte nun als Besucher ausgab oder als Arzt, ob er ein Kissen benutzte oder irgendeine tödliche Dosis –, Michael kam es nur darauf an, dass die Sache umgehend erledigt wurde und alles nach einem natürlichen Tod aussah.

Kapitel 29
    »Wollen Sie damit sagen, Dr.Kaplan, dass Prostitution
nicht
das älteste Gewerbe ist?«
    Als sie die Stimme des Moderators auf der Kassette hörte, sträubten sich ihr erneut die Nackenhaare, wie zum Zeitpunkt des Interviews. Ophelia hatte das Gespräch aufgezeichnet und arbeitete den Mitschnitt jetzt in ihr neues Buch
Zur Verteidigung unserer Vorfahren
ein.
    Die Konzentration auf ihre Arbeit hielt sie davon ab, ständig daran zu denken, dass sie möglicherweise schwanger war – was sich erst herausstellen würde, wenn die Packung mit dem Schwangerschaftstest eintraf.
    »Bedaure«, hatte die Krankenschwester gestern Abend gesagt. »Die Apotheke in Palm Springs hat einen Fehler gemacht. Ich musste die Bestellung noch einmal durchgeben. Aber ich versichere Ihnen, mit der ersten Maschine morgen

Weitere Kostenlose Bücher