Wilder Oleander
Ich habe sie gelesen und bin erschüttert. Wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann … «
»Das können Sie nicht«, sagte er so niedergeschlagen, dass Abbys Herz ihm zuflog. »Dann eben nicht«, meinte sie, »aber sollten Sie es sich anders überlegen … «
»Es ist nur so, dass meine Schwester mir sehr viel bedeutet hat. Ich war vierzehn Jahre älter als sie und habe immer auf sie aufgepasst. Mich um sie gekümmert. Sie hat sich mir hundertprozentig anvertraut. Und ich habe sie im Stich gelassen.«
In seiner Stimme schwang etwas mit, was Abby aus ihren eigenen Erinnerungen erkannte: Jack gab sich die Schuld an Ninas Tod.
»Wir vermögen nicht immer die zu retten, die wir lieben«, sagte sie und legte ihm eine Hand auf den Arm.
Wutverzerrt starrte er sie an. »Nina hat sich in eine gefährliche Situation begeben, und ich habe nichts dagegen unternommen. Sie hinterließ eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter – eine gottverdammte Nachricht, die besagte, dass sie an jenem Abend noch mit jemandem verabredet war, der anonym bleiben wolle … « Seine Worte kamen stoßweise, bruchstückhaft. »Sie sagte, sie sei über eine Wahnsinnssache gestolpert … Ich kam spät nachts nach Hause und schlief auf dem Sofa ein. Ich arbeitete an einem Fall und war todmüde. Deshalb hab ich den Anrufbeantworter erst am nächsten Morgen abgehört, als es schon zu spät war … « Seine Stimme brach.
»Sie hinterließ eine Nachricht? Wie hätten Sie ihr denn helfen können? Jack, Sie trifft keine Schuld. Ihre Schwester konnte doch unmöglich wissen, wann Sie die Nachricht abhören würden.«
Er riss die Tür auf. Sonne und Wüstenbrise drängten ins Haus. Jack hatte die Fingerabdrücke sichergestellt. Es gab hier
nichts mehr für ihn zu tun. Er würde den nächsten Flieger nehmen, der von The Grove startete.
»Jack, hat sie in ihrer Nachricht um Hilfe
gebeten
?«
Mit gequältem Augenausdruck verharrte er stillschweigend an der Tür.
»Ich weiß, wie das ist, wenn man sich wegen so etwas Vorwürfe macht und Schuldgefühle hat. Aber Sie konnten gar nichts dagegen unternehmen. Ich weiß Bescheid, ich habe so etwas auch erlebt.«
Wie versteinert stand er da, versuchte, Haltung zu bewahren. Sie hätte ihm gerne gesagt, dass es die geschmeidigen Bäume wären, die überlebten, Palmen zum Beispiel, die sich im Sturm bogen. Nicht die starre Eiche, die entwurzelt wurde und umkippte.
Sie trat ins Freie, wandte sich nochmals um. »Wenn Sie darüber sprechen möchten … jederzeit.« Obwohl ihr schleierhaft war, wie sie ihm beistehen konnte, wusste sie, dass nicht mehr viel Zeit blieb. Jack würde planmäßig am Samstag abreisen. Am selben Tag, da auch sie The Grove verließ.
Kapitel 28
Mit einer Geschwindigkeit von sechshundert Meilen in der Stunde zu fliegen war etwas, was Michael Fallon aufgeilte.
Dann stellte er sich vor, in einem wie ein Phallus geformten Luftschiff durch den freien Raum zu jagen. Unmöglich, sich noch länger auf das zu konzentrieren, was seine Sekretärin mit ihm zu besprechen hatte.
Dabei war sie eine Augenweide. Mit ihren hellbraunen Locken über einen Stenoblock gebeugt, die Beine übereinandergeschlagen, eine seidenbestrumpfte Wade wippend, machte sie sich Notizen. Die Knöpfe ihrer Bluse waren bis zum Busenansatz geöffnet. Die schmale Taille und die runden Hüften entsprachen durchaus Michaels Geschmack. Er riss sich zusammen. »Wo waren wir stehen geblieben, Miss Jones?«, fragte er.
»Der Gouverneur mit Gattin, Senator Watson mit Gattin … « Sie gingen die Einladungen zum Hochzeitsempfang seiner Tochter durch.
»Eine Million Dollar, wenn Sie Ihre Bluse ganz aufknöpfen«, sagt Fallon und lächelte verführerisch. Wattebäusche von Wolken umwaberten den Privatjet, durch die luxuriös ausgestattete Kabine wehte gedämpfte Musik. Ein paar Sitze weiter weg döste Uri Edelstein – Fliegen ermüdete ihn. Bei Michael war das anders. Er hatte urplötzlich einen Ständer.
Mit einem leisen Lachen legte Miss Jones ihren Block beiseite und knöpfte sich langsam die blaue Seidenbluse auf, gab
ihrem Boss den Blick auf ihre mordsmäßigen Brüste frei, die kaum in den mit Spitzen besetzten Körbchen ihres BHs Platz hatten. Miss Jones hieß mit Vornamen Ingrid und war, bevor sie Kurzschrift lernte, Stripperin in Las Vegas gewesen.
Michael stand auf und ging in den rückwärtigen Teil des Jets. Ingrid folgte ihm. Er zog einen Vorhang vor die kleine Kombüse und lehnte sich an die Wand. Ingrid wusste,
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