Wilder Wein
das aus dem Kopf schlagen sollst.«
»Ich verstehe dich nicht. Wieso?«
»Erstens kannst du dir ruhig angewöhnen, dich mal etwas nobler zu zeigen –«
»Wie? Wie hieß dieses Wort?«
»Nobler.«
»Nobler? Willst du mich an den Bettelstab bringen?«
»Und zweitens braucht Herr Brühe die ganzen drei Wochen – und vielleicht sogar noch etwas länger –, um ein zweites Gemälde anzufertigen.«
Baptist Selzer guckte dumm.
»Welches zweite Gemälde? Und auf wessen Kosten?«
»Nicht auf die deinen.«
»Sondern?«
»Auf die von Hermann.«
»Deinem Verlobten?«
»Ja.«
»Das bringt mich zu der Frage: Wann heiratet ihr nun?«
»Bald, Papa.«
»Und um welches Gemälde geht's? Wenn der Hermann ein solches haben will, dann soll er auch die ganzen Kosten tragen und nicht einen Teil davon auf mich abwälzen wollen. Was gehen mich seine Wünsche an? Gar nichts.«
»Doch, die gehen dich schon auch etwas an.«
»Wieso? Das möchte ich gerne wissen.«
»Weil es ein Bild von deiner Tochter werden soll.«
Selzer, der im Zimmer herumgelaufen war, blieb abrupt stehen.
»Von dir?«
»Ja.«
»Wer hat dich denn auf diese Idee gebracht?«
»Ich mich selbst.«
Nun gut, warum nicht? Es war typisch für Selzer, daß er sich bei der Tatsache an sich gar nicht lange aufhielt, sondern sich umgehend der für ihn wichtigsten Frage, die dem Ganzen entsprang, zuwandte.
»Der Hermann übernimmt das Honorar, sagtest du?«
»Er wollte sogar den bekanntesten Düsseldorfer Künstler anheuern.«
»Siehst du, das ist eben der Unterschied zwischen ihm und mir: Ich mußte und muß mir mein Geld selbst erarbeiten. Er hat's geerbt, deshalb sitzt's ihm wohl so locker in der Tasche.«
»Trotzdem empfiehlst du mir, ihn zu heiraten, obwohl er in deinen Augen ein Verschwender ist. Das kann doch gefährlich für mich werden.«
»Nur, wenn du ihn nicht an die Kandare nimmst. Darauf mußt du von Anfang an achten, merk dir das.«
Anne lachte.
»Sollte ich's mal vergessen, bist du ja auch noch da, um mich sofort daran zu erinnern, Papa.«
»Ich lebe nicht ewig, mein Kind.«
»Aber noch lange, bei deiner Gesundheit.«
»Wie groß soll dein Bild werden?«
»Das weiß ich nicht.«
»Was sagt denn der Brühe?«
»Noch gar nichts.«
Der Winzer, der längst wieder im Zimmer herummarschiert war, blieb wieder einmal stehen.
»Gar nichts? Was heißt das? Ihr werdet doch über das Projekt schon gesprochen haben?«
»Konkret noch nicht.«
»Dann wenigstens vage?«
»Ehrlich gesagt, Papa, ich habe ihm überhaupt keine Aussichten eröffnet, daß es zu einem solchen Auftrag kommen könnte.«
»Aber jetzt neigst du dazu?«
»Mehr: Ich bin entschlossen, Papa.«
»Und warum?«
»Weil es mir gelungen ist, die Frage der Finanzierung zu lösen.«
Baptist Selzer lachte herzlich. Anne machte ihn stolz. Wohlwollend sah er sie an. Sein eigen Fleisch und Blut konnte sich halt doch nicht verleugnen. Das sagte sich Baptist Selzer und riet Anne, nun aber sehr bald konkret mit dem Maler zu sprechen.
Anne war gar keine Tochter des Baptist Selzer, doch das wußte weder sie noch er. Greta Selzer, geb. Heinze, die verstorbene Ehefrau des Winzers, hatte Anne von einem traurigen Ausflügler aus Kevelaer am Niederrhein empfangen. Kevelaer ist ein berühmter Wallfahrtsort der Katholiken, denen besondere Marienverehrung ein Bedürfnis ist. Jener Ausflügler besaß im Schatten der Gnadenkapelle einen Laden mit Devotionalien – der Andacht dienende Gegenstände –, die reißenden Absatz fanden. Elf Jahre lang ruhte Gottes Segen auf dem Geschäft, bis gleich einem Blitz aus heiterem Himmel eine Prüfung des Finanzamts über die Firma hereinbrach. Der Prüfer war ein Protestant aus Schlesien – diese Ketzer, diese Flüchtlinge! –, dem nichts im Schatten der Gnadenkapelle heilig war. Resultat: ein Steuernachzahlungsbescheid in Höhe von 368.364,- DM (in Buchstaben: dreihundertachtundsechzigtausenddreihundertvierundsechzig).
Den zusammengebrochenen Geschäftsinhaber schickte seine Frau zur Wiederbelebung an die Mosel, von der er immer schon angenommen hatte, daß in solchen Fällen nur sie einen Menschen wieder auf die Beine bringen könne, psychisch und physisch.
»Nütze deinen Ausflug«, sagte die Gattin beim Abschied zu ihm. »Versäume nichts, geh unter Menschen, lasse nichts aus.«
Er landete im ›Winzergold‹, lernte dessen Besitzer kennen, der genau wie er seinen Geschäften nachjagte und dadurch im Ehebett manches versäumte, was weniger
Weitere Kostenlose Bücher