Wilder Wein
kommerziell veranlagte Herren dazu verlockte, dort einzuspringen.
Selzer und der geknickte Ausflügler aus Kevelaer spürten die seelische Verwandtschaft, die zwischen ihnen bestand. Sie wurden rasch Freunde. Der Mann aus Kevelaer hieß Jupp Terboven.
»Baptist«, sagte er bei einer Flasche Wein, der noch zwei weitere folgten, »du bist der gleiche wie ich, rennst hinter dem Geld her, hast zu nichts anderem Zeit, und dann kommen die und holen dir mit einem Schlag alles weg, was du dir ehrlich erarbeitet hast. Ich werde aber nicht mehr so blöd sein. Meine Frau sagte: ›Laß dir nichts entgehen.‹ Daran will ich mich halten.«
»Jupp«, antwortete Selzer, »das ist doch Quatsch. Du kannst nicht aus deiner Haut raus, wirst schon sehen. Sagst doch selbst, daß du der gleiche bist wie ich. Und schau mich an, was sollte ich mir denn nicht entgehen lassen? Weiber? Dazu habe ich keine Zeit – und du auch nicht!«
Jupp Terboven blieb hartnäckig.
»Hier schon«, sagte er mit einem gewissen Gewicht in der Stimme.
Sein Blick wanderte dabei hinüber zur Theke, hinter der die leckere Wirtin stand und einen Weinheber füllte.
Anderntags verreiste Baptist Selzer für eine halbe Woche geschäftlich ins Elsaß. Seine Frau versah er beim hastigen Abschied mit dem Auftrag: »Kümmere dich ein bißchen um den aus Kevelaer. Ich weiß ja nicht, ob das Zweck hat, aber er hätte es jedenfalls nötig. Die Leute vom Finanzamt haben ihn völlig deprimiert.«
So wirkten denn, läßt sich zusammenfassend sagen, die Empfehlungen der Frau Terboven in Kevelaer und des Herrn Selzer in Wehlen über viele Kilometer hinweg zusammen, um einem neuen Menschenkind, einem Mädchen, mit dem weder sie noch er direkt zu tun hatten, das Leben zu schenken.
Das Mädchen erhielt den Namen Anna, aus dem später, auf deren eigenes Betreiben hin, Anne wurde.
Frau Greta Selzer wußte ihr Geheimnis absolut für sich zu behalten, das von ihr sogar mit ins Grab genommen wurde.
Zwischen Baptist Selzer und Anne bestand natürlicherweise keinerlei äußerliche Ähnlichkeit, eine innerliche jedoch durchaus, was kein Wunder war in Anbetracht der seelischen Verwandtschaft zwischen Jupp Terboven, Kevelaer, und Baptist Selzer, Wehlen. Hätte es für letzteren je einen Zweifel an seiner Vaterschaft geben können, wäre demselben durch einen Blick auf Annes innere Ähnlichkeit mit ihm der Boden unter den Füßen weggezogen worden.
Fritz Brühe, der sich, fast war's schon vergessen, Frédéric Bruhère genannt hatte, malte. Die Sonne brannte vom wolkenlosen Himmel herab. Die Luft flimmerte. Das kannte Brühe nun schon; die Sonne, die flimmernde Luft, die Insekten, die ihn, vom Weinberg angezogen, umkreisten und belästigten.
Aber er malte verbissen an seinem Bild. Ich Idiot, dachte er wiederholt dabei, aus meinem Atelier habe ich mich herausgesehnt ins Freie. So kann man sich täuschen.
Dann sah er, daß Anne Selzer den Abhang heraufkam.
»Guten Tag, Herr Brühe«, sagte sie, als sie ihn erreicht hatte.
»Guten Tag, gnädiges Fräulein.«
Kurzes Zunicken von ihm, dann Weitermalen.
Gnädiges Fräulein sagt er zu mir, dachte sie. Wieso denn? Was soll der Quatsch? Hat er doch früher nicht getan.
»Heiß heute, nicht?«
»Wie immer, gnädiges Fräulein.«
»Vielleicht kommt ein Gewitter und kühlt etwas ab.«
»Vielleicht, gnädiges Fräulein.«
»Aber dann müßten Sie vom Weinberg runterflüchten. Das würde Sie in Ihrer Arbeit zurückwerfen.«
»Leider, gnädiges Fräulein.«
Nun wurde ihr das zu bunt.
»Ich bin Anne Selzer!« rief sie, mit dem Fuß aufstampfend.
Er schenkte ihr einen kurzen Seitenblick, schwieg und malte weiter.
»Hören Sie nicht?« rief sie noch lauter.
»Doch«, sagte er, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.
»Haben Sie mich nicht schon Anne genannt?«
Nun hielt er mit dem Pinsel inne.
»Gnädiges Fräulein«, sagte er, »Sie –«
Doch sie fiel ihm ins Wort.
»Ich will das nicht mehr hören! Was habe ich verbrochen? Ich dachte, wir hätten ein ganz anderes Verhältnis zueinander!«
»Sie haben das Gespräch mit mir brüsk abgebrochen, das war das eindeutige Ende unseres, wie Sie es nennen, ›Verhältnisses zueinander‹. Ich hatte Ihnen ein künstlerisches Angebot gemacht, und Ihre Antwort bestand darin, mich vor den Kopf zu stoßen. Aber das hätte mir noch nicht soviel ausgemacht. Mein Herz schlug, wenn ich so sagen darf, immer noch für Sie. Doch dann hatten Sie kein Auge mehr für mich. Wir sahen uns nur noch von
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