Wildes Blut
Die enge, gerüschte Corsage ihres Kleides betonte die jungen, runden Brüste und die schlanke Taille, und zum erstenmal in ihrem Leben streifte der Saum ihrer vollen Röcke den Boden, als sie fröhlich ein paar Schritte durchs Zimmer tanzte und kurze Blicke auf ihre wohlgeformten Knöchel freigab. Sie lachte, aber als sie sich dann noch einmal im Spiegel sah, verdüsterte sich ihr Gesicht, und ihre Augen waren voller Schmerz, als sie sagte: »Oh, Tante Rachel! Wenn doch nur Mutter noch am Leben wäre und mich so sehen könnte! Glaubst du – glaubst du, sie wäre stolz auf mich?«
»Ja, Eve, ja! Wie kannst du daran zweifeln?« Rachels Augen füllten sich mit Tränen. »Eve, Schätzchen, deine Mutter war meine liebste Freundin, sie stand mir näher als eine Schwester, und deshalb weiß ich, wenn sie in diesem Augenblick hier stehen und dich sehen würde, wäre sie so stolz, daß sie glauben würde, dein Anblick entschädige sie für alles Leid, das sie in ihrem Leben ertragen mußte.«
»Glaubst du – glaubst du das wirklich, Tante Rachel? Wirklich?«
»Ich weiß es. Wahrscheinlich sitzt sie jetzt irgendwo da oben im Himmel, lächelt herunter auf dich und wünscht sich mehr als alles andere auf der Welt, dir zu sagen, wie sehr sie dich liebt.«
»Oh, Tante Rachel«, Tränen funkelten jetzt auch in Eves Augen, und ein nachdenkliches Lächeln huschte über ihren Mund, »ich glaube, das ist das Netteste, was mir jemand gesagt hat, seit – seit Mama tot ist! Danke. Danke, daß du zu mir und den anderen so lieb warst. Ich – ich weiß nicht, was wir ohne dich und Onkel Slade gemacht hätten!«
»Und ich weiß nicht, was ich ohne euch gemacht hätte«, sagte Rachel leise. »Wir haben uns gegenseitig geholfen, und so soll das Leben auch sein. So, jetzt aber schnell nach unten mit dir, damit ich mich auch anziehen kann – und wehe, du machst dich schmutzig, bevor Adam dich sieht! Er wird wahrscheinlich so durcheinander sein, wenn er dich sieht, daß er nicht mehr weiß, wo links und rechts ist!«
Stotternd und rosig vor Glück und Vorfreude stieg Eve die Leiter vom Speicher hinunter. Rachel ging langsam an ihre eigenen Toilette, aber in Gedanken war sie mit den Erinnerungen an India beschäftigt. Nach einiger Zeit verdrängte sie aber die traurigen Gedanken und war bald genauso aufgeregt wie Eve. Sie würden alle gemeinsam in die Stadt fahren zum großen Büffelgrillfest anläßlich des Feiertags, das jedes Jahr am Ostufer des Big Arkansas stattfand. Rachel konnte es kaum erwarten.
Sie musterte sich kritisch im Spiegel und mußte zugeben, daß sie sehr zufrieden war. Sie hatte ihr langes blondes Haar in der Mitte gescheitelt, und dann beide Hälften mit blauem Band verflochten und die beiden Zöpfe zu einer Krone festgesteckt, aus der sie ein paar Strähnen gezogen hatte, die ihr Gesicht sanft umrahmten. Ihr sonnengebleichtes Haar und ihre goldbraun gepuderte Haut ließen ihre minzgrünen Augen leuchten, und ihr Mund war zartrosa wie blühende Heckenrosen.
Aber am stolzesten war Rachel auf ihr hellblaues Seidenkleid. Es war wirklich wunderschön. Sie hatte lang daran gearbeitet, hatte es auf eine Schneiderpuppe gesteckt und geheftet, damit es ja richtig paßte, und es dann mit ordentlichen kleinen Stichen genäht. Die Puffärmel waren mit cremefarbener Spitze besetzt und wurden an den Schultern mit Bändern gehalten, ein hübscher Kontrast zu dem schlichten Oberteil mit einem züchtigen Ausschnitt, der nur den Ansatz ihrer vollen reifen Brüste freigab. Der Rückenausschnitt war etwas gewagter, er reichte fast bis zu ihrer grazilen Taille, die das Kleid voll zur Geltung brachte. Der Rock schwang wie eine Glocke bis zum Boden, mit einer Rüsche am Saum, unter der die Zehen ihrer Knopfstiefelchen hervorlugten.
Rachel hatte gerade noch genug Stoff und Bänder übrig gehabt für einen langen Schal mit Fransen und einen passenden Beutel. Jetzt drapierte sie den Schal um ihre Schultern, um den Rücken bis zum Abend zu verdecken, wenn es ziemlich war, ihn zu zeigen, und band die beiden Enden des Schals unter ihrem Busen zusammen. Sie steckte ihren breitkrempigen Strohhut auf dem Kopf fest, band sich die Schleife unterm Kinn, nahm Sonnenschirm, weiße Handschuhe und den Fächer aus Truthahnfedern und stieg die Leiter hinunter ins Blockhaus, wo sie Eve mit den letzten Vorbereitungen für den Festtag half.
Kurz darauf kam Slade ins Haus. Rachel verschlug es den Atem, als sie ihn sah. So schön hatte sie ihn noch nie
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