Wildes Blut
schlucken wollte. Sie wechselten die warmen Wickel auf seiner Brust immer und immer wieder. Aber nichts von alldem half, und schließlich wußten sich Rachel und Seeks keinen Rat mehr. Verzweifelt bat Rachel Slade, nach Wichita zu reiten und den Doktor zu holen.
»Sie sind nicht alle Quacksalber. Es gibt auch ein paar gute in der Stadt. Hol Doktor Fabrique. Wenn er nicht da ist, hol Doktor Owens oder Doktor Allen.« Sie fügte nicht hinzu, daß letzterer auch Leichenbeschauer war; sie wollte nicht daran denken, daß Toby sterben könnte.
Slade galoppierte auf seinem schwarzen Hengst davon. Jetzt konnten sie nur abwarten und Toby inzwischen Linderung verschaffen und beten, daß der Doktor bald kam.
Schließlich kam Doktor Fabrique, der in Wichita vielen Kindern auf die Welt geholfen hatte und deshalb auch einige Erfahrung mit Kinderkrankheiten hatte. Er untersuchte Toby gründlich und stellte fest, daß sein Puls sehr schwach war und er Bronchitis hatte. Doktor Fabrique tat alles, was in seiner Macht stand. Aber er teilte Rachel und Slade mit, daß er keine große Hoffnung hatte, daß das Kind überleben würde.
»Das Baby ist sehr klein und schwach, längst nicht so schwer und groß, wie man es bei einem Säugling von sieben Monaten erwarten würde«, erklärte ihnen der Arzt. »Deshalb hat ihn die Bronchitis so sehr mitgenommen. Das Baby ist einfach nicht kräftig genug, dagegen anzukämpfen. Bitte machen Sie sich keine Vorwürfe. Sie haben getan, was sie tun konnten, genau wie ich. Der Rest liegt jetzt in Gottes Hand. Es tut mir leid. Wenn das Baby überlebt …«, er verstummte. Dann fuhr er fort: »Ich komme morgen früh wieder, wenn Sie mich brauchen.«
Kurz nach Sonnenuntergang verabschiedete sich der gütige Doktor, nachdem er ihr Angebot, zum Abendessen zu bleiben, abgelehnt hatte. Nachdem er gegangen war und Rachels Hoffnungen mit ihm, setzte sie sich neben Tobys Wiege, schaukelte ihn sanft und kämpfte mit den Tränen, während sie stumm mit Gott um das Leben des Babys feilschte. Ihr Herz machte bei jedem gequälten Atemzug Tobys einen Satz, und schreckliche Wut über ihre Ohnmacht und Hilflosigkeit erfüllte sie. Das war das Allerschlimmste – ihre Hilflosigkeit, zumal sie ihn doch so sehr liebte und er sie so dringend brauchte.
Im Laufe der langen Nacht verfärbten sich Mund und Fingernägel des Babys leicht bläulich. Dann, plötzlich nach Mitternacht, röchelte Toby noch einmal und starb.
Die plötzliche Stille sagte Rachel, daß das Kind tot war, aber sie weigerte sich, die Tatsache zu akzeptieren und betete einfach weiter. Schließlich kniete sie sich über seine Wiege, legte langsam ihren Kopf auf seine Brust. Sie hörte und fühlte nichts mehr.
»Toby!« rief sie leise und immer noch ungläubig. »Toby!« Vielleicht hatte sie sich geirrt und er atmete doch noch. Voller Panik legte Rachel ihm die Hand über den Mund. Keine Luft. Dann schüttelte sie ihn in ihrer Verzweiflung, als könnte sie ihn wachrütteln. Aber Toby zeigte kein Lebenszeichen. »Nein! Oh, bitte, lieber Gott, nein!« stöhnte sie und wandte sich ab, mit einer Hand am Mund, um ihr Schluchzen zu unterdrücken. »Nein!«
Sie sank auf die Knie, begrub ihr Gesicht in den Händen und weinte. Sie meinte, ihr Herz müsse entzweibrechen. Ihr Körper war kalt wie Eis, ihr Magen drehte sich, als hätte sich unter ihr die Erde aufgetan, und ihr wurde so übel und schwindlig, daß sie Angst hatte, in Ohnmacht zu fallen. Ihr Kopf war leer, und eine seltsame Benommenheit packte sie, so daß sie nicht mehr klar denken konnte.
Nein! Nein! Er ist nicht tot! Das ist er nicht! Es kann nicht sein! Es kann nicht sein! Oh, Toby, Toby!
Das war ihr Baby, ihr Kind. In ihrem Herzen hatte er ihr gehört, und jetzt war er tot, und nichts und niemand konnte ihn ihr wiederbringen. Es schien einfach nicht möglich, daß er auf einmal nicht mehr da war. Sie erinnerte sich, wie sie ihn gehalten hatte, ihn gefüttert, gewiegt hatte, über seine winzigen Finger gestaunt, mit seinen Zehen gespielt hatte, und wie er vor Wonne gelacht hatte. Sie erinnerte sich an seine erstaunten runden Augen, seinen süßen, milchigen, pudrigen Geruch, seine kleine Faust um ihren Finger, sein erstes echtes Lachen und seinen ersten Zahn. All das war jetzt verschwunden, zu schnell, zu bald und auf ewig – genau wie ihre Mutter. Rachel war auch mutterlos gewesen, und jetzt war sie auch kinderlos. Das hätte nicht passieren dürfen. Toby hätte leben sollen. Sie hätte sehen
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