Wildes Erwachen
du mit dem Trampel nicht mehr viel erben.«
Michail nickte: »Denk ich auch. Aber wenn ich die jetzt verkaufe, bringt sie mir allerhöchstens dreitausend Mark. Ich denke, wir bieten die im Katalog als original ukrainisches Bauernmädchen an. In Deutschland findet sich sicher ein Perverser, dem wir acht- bis zehntausend abknöpfen können.«
Igor heuchelte Bewunderung: »Wirklich clever, Chef, muss ich schon sagen!« Aber er musste auch beweisen, dass er ein denkender Mitarbeiter war: »Das kann dauern. Wo parken wir die so lange?«
»Auf jeden Fall raus aus dem Bezirk! Ich lass’ mir da was einfallen, Igor.«
Michail klopfte seinem Adlatus auf die Schulter, fischte aus der Innentasche seiner Lederjacke einen zusammengerollten Stapel Geldscheine. Lässig zupfte er aus dem Bündel drei Tausender und steckte sie Igor in die Hemdtasche.
Auch die Familie Kral bezeichnete ihr altes Haus in der Stadtmitte gelegentlich als Baracke, denn es war, ähnlich wie Brückners Anwesen, eine Dauerbaustelle, allerdings älteren Ursprungs. Der Türstock am Eingang nannte 1832 als Entstehungsjahr. Und Kral glaubte nachweisen zu können, dass das Haus auch den großen Stadtbrand von 1856 zumindest in Teilen überstanden hatte. In grober Überschätzung seiner handwerklichen Fähigkeiten hatte er sich für den Kauf des alten Kastens entschieden. Wäre es nach Eva gegangen, hätten sie ein Reihenhäuschen am Stadtrand gewählt. Aber dem Argument ihres Mannes, eine solche normierte architektonische 08/15-Lösung könne man sich doch wirklich nicht antun, hatte sie nichts entgegen zu setzen. Nun hatten sie ein Haus ohne Garage, mit einer winzigen Grünfläche, die den Namen Garten nicht verdiente, dafür aber ein marodes Dach, das dringend saniert werden musste.
Die kleine Gasse bot gerade mal drei oder höchstens vier Parkplätze. Und Kral ärgerte sich nicht wenig, wenn Ortsfremde ihr Auto in dem engen Sträßlein abstellten, häufig noch so, dass an ein Vorbeifahren nicht mehr zu denken war.
Eva hatte ihm am Morgen den Wagen mit der Begründung überlassen, sie habe am Vormittag Termine in der Stadt, die sie auch zu Fuß wahrnehmen könne. Viertel nach eins bog Kral in die Gasse ein. Gedanklich saß er schon am Esstisch, denn nach der Schule hatte er den Hunger eines Holzfällers, obwohl sein Einsatz mehr nervlicher denn körperlicher Art war.
Und nun das: Am Gartenzaun der Nummer 7, auf seinem Parkplatz, war ein Škoda Felicia mit tschechischem Kennzeichen abgestellt. Für Kral war sofort klar, dass sich hier eine Putzfrau aus dem Nachbarland, die in einem der Nachbarhäuser ihrer Schwarzarbeit nachging, auf unverschämte Weise breitgemacht hatte. Ohne groß zu zögern, fuhr er so nahe an den Wagen heran, dass sich die Stoßstangen fast berührten, allerdings mit der Folge, dass jetzt andere Autos nicht mehr vorbei kamen. Aber die Dame aus Tschechien sollte ruhig sehen, was sie mit ihrer wilden Parkerei angerichtet hatte.
Kral stieg aus und nahm den blauen Škoda genauer unter die Lupe. Irgendwie kam ihm das Fahrzeug bekannt vor. Der Blick auf das Nummernschild machte die Überraschung perfekt: CHD-07-84! Kein Zweifel, das war Brückners Rostlaube!
Er schloss die Haustüre auf und hörte von oben Evas Stimme: »Jetzt kommt er!« Tatsächlich! Am Küchentisch saß Kapitän Brückner, der etwas verlegen dreinblickte. Das mochte daran liegen, dass er Eva kaum kannte und zur Essenszeit in die fremde Wohnung geplatzt war. Er entschuldigte sich wortreich, betonte aber ausdrücklich, dass er ja vorher angerufen habe – er blickte fragend auf Eva –, »und deine Gattin hat gemeint, ich störe überhaupt nicht. Stimmt doch, Frau Kral?«
Eva nickte.
Kral sah sich zu einem leichten Tadel genötigt, den er energisch, aber kumpelhaft-jovial vorbrachte: »Jetzt hör mal mit deinen Entschuldigungen auf, Josef! Ist doch okay, wenn du da bist, bist du eben da, basta!«
Der Blick zum Herd hatte ihm gezeigt, dass in der Pfanne zwei große Stücke Leber brutzelten. Leber mit glasierten Zwiebeln und Kartoffelbrei gehörte zu seinen Lieblingsgerichten. Wenn er nicht warten wollte, bis die Leber die Konsistenz von Schuhsohlen erreicht hatte, musste er eine Entscheidung herbeiführen: »Du isst doch mit, Josef!«, wandte er sich an Brückner, mehr fordernd als fragend.
Der schüttelte den Kopf: »Ich hab’s schon deiner Frau gesagt, ich muss gleich weiter.«
»Und was gibt’s so Eiliges?«, wollte Kral wissen.
Der Kapitän öffnete
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